Gib mir Menschen
Eindrücke aufzeichnen und der Nachwelt zu Gemüte führen. Was für ein Knüller! Selbst wenn ich nicht der erste war, der mit einem solchen Bericht vor die Leserschaft trat, so tat das nichts, denn ich konnte meine Todeserlebnisse in dem unverwechselbaren Stil des Daniel Hummer darbringen. Nun gut, vielleicht sollte ich meinen Stil gar nicht so hervorkehren, weil es darauf gar nicht ankommt, denn mein Erfolgsrezept setzt sich aus einem raffinierten dramaturgischen Aufbau zusammen, bei dem das richtige Maß von Schicksalsverknüpfungen und eine ebenso abgestimmte Verschachtelung der Handlung den Ausschlag gibt.
Aber mit der Zeit war ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher. Wenn man nachdenkt, dann findet man für jedes Argument ein Gegenargument. Und so war es immerhin möglich, daß in zwanzig Jahren oder so kein Schwein mehr einen Daniel Hummer lesen will. Wer zwei Jahrzehnte keine Zeile geschrieben hat, der ist weg vom Fenster. Natürlich kann ich damit rechnen, daß meine alten Schwarten Neuauflagen erleben und ich für einige Jahre meiner Zwangspause im Gespräch bleibe. Das ist sogar garantiert.
Ich habe mich nämlich nicht kopflos in dieses Abenteuer gestürzt, das ging schon aus finanziellen Gründen nicht, sondern habe mich abgesichert und mir ein ordentliches Polster verschafft. Mit der Aussicht auf Neuauflagen der alten Sachen und einer Spitzenauflage meines letzten Romans, wenn meine Einfrierung in einer großaufgezogenen Werbekampagne publik gemacht wurde, handelte ich bei meinem Verleger einen anständigen Vorschuß aus. Das machte es mir nämlich erst möglich, mich auf diese kostspielige Angelegenheit einzulassen. Die »Gesellschaft für Gefrierbiologische Unsterblichkeit« war nichts für Habenichtse.
Den Betrag für das Einfrieren hätte ich auch so aufbringen können. Aber bei den 100 000 Mark blieb es nicht. Ich mußte ja für unbestimmte und unvorhersehbare Dauer betreut werden, und beim Kostenstand am Tage meiner Einfrierung machte das täglich 1000 Mark zusätzlich. Hätte es damals mehr potentielle Tiefschläfer gegeben, wären die Kosten beträchtlich zu senken gewesen, wußte Dr. Benkser zu sagen, aber wie die Dinge lagen, war mit keinem nennenswerten Zustrom von Klienten zu rechnen. Jawohl, er sagte »Klienten« und nicht »Patienten«.
Mal angenommen, so führte Dr. Benkser weiter aus, die Gehirnpest griffe weiter um sich und würde zu einer Geißel für die Menschheit ausarten wie seinerzeit Krebs, auch dann war kaum mit einem Ansteigen der Zahl der Tiefschläger zu rechnen. Dr. Benkser und seinem Team waren Grenzen gesetzt.
Selbstverständlich versuchte ich, aus meiner Popularität Kapital zu schlagen und Dr. Benkser einzureden, daß ein ganzes Rudel meiner Leser meinem Beispiel folgen würde, wenn ich erst im kühlen Grab lag. Aber er glaubte nicht an meine Werbewirksamkeit, denn, so argumentierte er stichhaltig, als der General tiefgekühlt wurde, hat das bei den NATO-Veteranen auch keinen Boom ausgelöst, und Armanda O’Henrys Tiefkühlung hat nicht zu einem Rattenfänger-Effekt geführt, obwohl ihr Bekanntheitsgrad den meinen bei weitem überstieg.
Abgesehen davon waren Dr. Benkser und seine Mannen sowieso noch nicht soweit, um auf Massenbetrieb umsteigen zu können. Vielleicht wollten sie das auch gar nicht, denn sie konnten der Meinung sein, daß diese Art der Lebensverlängerung mit der Aussicht auf Unsterblichkeit einer elitären Schicht vorbehalten bleiben sollte.
Einer Expansion waren aber auch natürliche Grenzen gesetzt. Denn das Unsterblichkeitszentrum war in einem Höhlennetz nördlich des Alpenhauptkamms untergebracht, das sich nicht beliebig vergrößern ließ und zudem noch inmitten eines Naturschutzgebietes lag.
Der Weg dorthin führt durch das Stodertal, in dem die Steyr fließt und der man bis zu ihrem Ursprung folgen muß. Es gibt bloß eine holperige Forststraße mit unzähligen Schlaglöchern, die man nur mit einem geländegängigen Wagen meistern kann. Auf diese Weise, nämlich per Range Rover oder Traktor, war auch die gesamte Ausrüstung für die Tiefschlaf anlagen herbeigeschafft worden, und für jedes Stück war eine behördliche Genehmigung erforderlich gewesen. Wie gesagt, es handelte sich um ein Naturschutzgebiet, und es war überhaupt ein Wunder, daß Dr. Benkser und seine Gesellschaft die Erlaubnis für den Ausbau der Höhlen erhalten hatten.
Wie beschwerlich die Anreise auch war, für mich war diese Abgeschiedenheit ein wichtiges Positivum.
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