Gibraltar
einem Auge die Arbeit des Teams überwachte, bei ihren Gästen und verwickelte sie, zwanglos eine Zigarette rauchend, in ein Gespräch. Schon beim Eintreffen pflegte sie jeden Gast mit Namen, Titel und Beruf vorzustellen; meistens schmückte sie ihre Beziehung zu dem Betreffenden mit einigen einprägsamen Details aus, um für die späteren Unterhaltungen Anschlüsse bereitzustellen. Fast immer legte sie im Vorfeld kurze Dossiers über die Gäste an; es erschien ihr ratsam, zu planen, welches Interesse oder Temperament sich vielversprechend mit einem bestimmten Geschäftsbereich kombinieren ließe, sodass etwas Ertragreiches dabei herauskommen konnte.
Dass sie eine perfekte Gastgeberin war, erwartete Johann im Namen der Bank von ihr. Dass sie diese Erwartung aber bei weitem übertraf, indem sie – im Namen der Bank – Lobbyarbeit in eigener Sache betrieb, erwartete er nicht. Und dass sie durch die Art und Weise ihrer Abendgestaltung nicht nur Partnerschaften und Geschäfte generierte, sondern vor allem auch eigene Kontakte herstellte und pflegte, bekam er – darin war sie sehr sicher – bis zum Schluss nicht mit. Bis zu dem Moment, als er feststellte, dass er die Kontrolle über seine Bank längst verloren hatte.
Einer jener Gäste, zu dem sich richtungsweisende Kontakte ergeben sollten, war Felix Feldberg. Er nahm Anfang der achtziger Jahre erstmals an einem Abendessen teil. 1985 machte Johann ihn zum Prokuristen der Bank.
Feldberg war von Haus aus Wirtschaftsprüfer und hatte in den letzten Jahren unter anderem im Berliner Senat für Stadtplanung und Baugenehmigungsverfahren gearbeitet. Er verfügte über ausgezeichnete Kontakte. Es war nicht leicht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, denn er war reserviert. Ihr gefiel das. Er suchte nicht nach Geschäftspartnern, sondern schien mit sich und seiner Position zufrieden. Allerdings wirkte er auch wie jemand, der sich infolge ausbleibender Überraschungen ein wenig langweilte.
Er kenne sich mit Immobilien aus wie kein Zweiter, hatte sie zu Johann gesagt, als die Gäste gegangen waren, die Kellner in der Küche das Geschirr zusammenräumten und Johann sich eben zu Bett begeben wollte. Sie sprach allgemein, scheinbar zufällig in seine Richtung. Vielleicht könne er der Sparte frische Impulse bringen.
Es sei überaus dankenswert, antwortete Johann mit vom Wein schwerer Zunge, dass sie sich um das Gedeihen der Bank sorge; allerdings sei das nicht ihre Aufgabe. Damit beendete er das Thema.
Sie hatte sich an seine Abschätzigkeit gewöhnt; der Hauptteil ihrer Kommunikation verlief in dieser Weise. Johann behandelte sie wie eine Geduldete, ganz gleich, wie nützlich sie sich ihm und der Bank machte. Aus Johanns Arbeitszimmer mit Schlafcouch war binnen eines Jahres ein Schlafzimmer mit einem Schreibtisch geworden. Das Wort Scheidung war zweimal eher beiläufig gefallen, dann hatten sie es, aus unterschiedlichen Gründen, aus ihrem Wortschatz gestrichen.
Beim nächsten Abendessen lud sie Feldberg wieder ein, brachte ihn mit einigen erstaunlich flachen Witzen zum Lachen und erfuhr, dass er einem Wechsel in die freie Wirtschaft nicht abgeneigt war. Wie er wisse, sagte sie, sammle ihr Mann Kunst und plane für die Zukunft ein eigenes Museum. Ob ihm dazu etwas einfiele?
An diesem Abend unterhielten sich Johann und er lange miteinander. Helene gegenüber erwähnte Johann den Namen Feldberg weder an diesem Abend noch in den nächsten Wochen. Sie erfuhr einige Wochen später zufällig von Frau Bartels, dass Feldberg längst einen Beratervertrag unterschrieben hatte.
Näheren Einblick in Feldbergs Tätigkeit erhielt Helene erst, als Johann ihm die Geschäftsführung jener Stiftung übertrug, die ihren Namen führte, ohne dass sie je in ihr tätig gewesen wäre. Den Vorsitz hatte Johann bis dahin kommissarisch selbst übernommen; inzwischen hatten allerdings nicht nur der Geschäftsumfang der Bank sowie die anhängigen Verpflichtungen, sondern auch Johanns Kunstsammlung beträchtlich an Größe zugenommen, sodass er mehr und mehr bestrebt war, Verantwortlichkeiten abzugeben.
Trotz seiner Förmlichkeit war Feldberg erstens sensibel genug, um das Verhältnis zwischen Johann und seiner Frau schnell als ein gespanntes einschätzen zu können, und zweitens diskret genug, um mit beiden in gutem Kontakt zu stehen. Das allerdings kam erst später. Nach zwei Jahren auf Beratungsbasis, von denen Helene wenig mitbekam, übernahm Johann Feldberg fest in die Bank. Ein weiteres
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