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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Nils’ Schwalbe, mit der sie bis letzten Herbst herumgefahren ist, und wird von zwei Polizisten in Zivil angehalten, nachts auf der Wiener Straße, und die beiden Polizisten kauen Kaugummi und riechen nach Rasierwasser und untersuchen die Schwalbe peinlich genau, und sie sagen so Sachen wie   Hast den Hubraum aufgebohrt, hm?   und   Bisschen den Vergaser frisiert, hm? , und der eine sagt zum anderen,   Du, ich hab das Gefühl, das ist längst noch nicht alles , und vom Görlitzer Park gegenüber kommen ein paar von den Dealern und stellen sich im Kreis drum herum und gucken zu, wie die Polizisten sich Valeries Ausweis geben lassen und sie dann darüber ausquetschen, wo sie denn genau in der Nacht gewesen wäre, als ihr Bruder gestorben ist, und der andere Polizist sagt feixend,   Oder sollte man Stiefbruder sagen, hm? , und die Dealer drum herum lachen, als wäre das ein erstklassiger Witz gewesen, und alle Dealer haben iPhones und machen Bilder von ihr, und all diese Bilder bezeichnen Valerie mit völlig anderen Namen, und dann klappt der eine Polizist den Sitz der Schwalbe hoch und findet einen Schnuller darunter und fragt sie völlig zusammenhanglos,   Ist das der Schnuller, mit dem du deinen Bruder umgebracht hast , und dann sitzen sie auf einmal wieder um das Monopoly-Spiel herum, und sie muss sich diesmal selber ausziehen, weil sie nämlich die Miete der Schlossallee schon wieder nicht zahlen kann, und deswegen muss sie buchstäblich ihr letztes Hemd hergeben, und ihre Mutter sagt bedauernd,   Sie schämt sich , und ihr Vater lacht nur, und dann wacht sie auf.
    Das Radio sagt jetzt durch, dass die großen deutschen Banken wegen der Wirtschaftskrise nicht mehr in Valerie investieren wollen. Valerie-Aktien gelten neuerdings als extrem gefährlich. Die Hypo Real Estate, die bereits letztes Jahr mit staatlichem Geld gerettet werden musste und eine Menge Valerie-Papiere platziert hat, richtet ihr Augenmerk jetzt lieber auf den deutschen, französischen, italienischen oder spanischen Aktienmarkt, sagt ein   HRE -Sprecher. Auch die Commerzbank-Tochter Eurohypo hat nach Angaben eines Branchenkenners beschlossen, keine Aktien von Valerie mehr zu kaufen. »Wir sind alle maßlos enttäuscht von Valerie«, wurde der Mann zitiert. Die Eurohypo besitzt Valerie-Papiere für etliche Millionen Euro, natürlich haben die jetzt Schiss, noch mehr zu verlieren, mit so einem schlechten Produkt.
    Valerie hört sich das alles ruhig an, was soll sie machen, es ist mitten in der Nacht, und sie kann nicht schlafen, und Stimmen im Radio sind immer noch besser als Stimmen in Heizungsrohren. Wenigstens gibt es hier Strom. Jetzt erzählen sie im Radio, dass die Postbank, zurzeit ebenfalls mit Millionen Euro in Valerie investiert, in nächster Zeit keine Kaufoptionen auf die Papiere mehr ausüben wolle. Das sagt natürlich alles. Valerie schluckt trocken und sieht zum großen Terrassenfenster, das allerdings stockdunkel ist. Es gibt auch mehrere Landesbanken, die Valerie-Aktien halten, die wollen sich aber zu einem Neukauf gar nicht mehr äußern.
    Valeries Finanzprobleme könnten sich nun noch einmal deutlich verschärfen, sagt das Radio. Da nämlich der gesamte Markt sein Kapital abzieht, ist fraglich, ob Valerie ohne staatliches Geld überhaupt noch überlebensfähig ist. Sollten sich die Gläubiger tatsächlich von Valerie abwenden – und offensichtlich tun sie ja gerade genau das –, müsste sie ihnen höhere Zinsen anbieten. Natürlich weiß jeder, dass Valerie keine höheren Zinsen bezahlen kann, weil sie ja schon jetzt total am Arsch ist. Gleichwohl beteuert der Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann: »Wir spekulieren nicht gegen Valerie!«
    Valerie ist sich ziemlich sicher, dass das gelogen ist.
    »Und wo ist Bernhard?«
    »Ich sagte doch schon, Valerie, dass er weggefahren ist.«
    »Und wohin ist er gefahren?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Aber wenn du nicht weißt, wohin er gefahren ist, wie kannst du dann sicher sein, dass er noch am Leben ist?«
    »Warum soll er denn nicht am Leben sein, Valerie?«
    »Was weiß ich denn?«
    »Wieso bist du denn so aggressiv?«
    »Ich verstehe nicht, wie du so sicher sein kannst, dass er am Leben ist, wenn du nicht mal weißt, wo er ist.«
    »Er hat Probleme auf der Arbeit, deswegen musste er ein paar Tage verreisen.«
    »Vielleicht hat ihn jemand umgebracht.«
    »Wie kommst du denn darauf, Valerie?«
    »Und wie lange muss er verreisen?«
    »Das weiß ich nicht,

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