Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
kannst.«
»Schuschu! Hättest du mir das nicht vorher sagen können? Gibt es wenigstens so was wie einen starken Kaffee in diesem Haus?«
»Ich boykottiere Kaffee«, erwiderte ihre Mutter. »Hast du eine Ahnung, unter welchen Bedingungen die armen Menschen leben müssen, die ihn produzieren? Da kann man ja gleich die Tränen der kolumbianischen Bauern schlürfen.«
Das wurde ja immer krasser. Anne setzte sich wieder, zog ihr Handy aus der Tasche und schickte Joachim eine SMS. Es würde ihm gar nicht gefallen, dass sie länger bei ihrer Mutter blieb. Noch weniger hätte ihm die Information gefallen, dass Anne von der lieben Oma unter Drogen gesetzt worden war.
Leicht benommen sah sie zu, wie ihre Mutter zu kochen begann. Es war wie ein Zaubertrick. Man sah gar nicht, was sie eigentlich tat, weil sie unglaublich schnell war. Auf einmal standen diverse verbeulte Töpfe auf dem Herd, das Gemüse war geschnippelt, schon goss sie den Reis ab, und nach Tischlein-deck-dich-Manier war im Handumdrehen alles fertig.
Es wurde ein Festessen. Selbst Lars futterte, als gäbe es kein Morgen, obwohl er Gemüse normalerweise nicht ausstehen konnte.
»Warum lässt du Lars nicht mal ein ganzes Wochenendebei mir verbringen?«, fragte Annes Mutter. »Hier hat er frische Luft, Natur ohne Ende, immer was zu tun, und die Verpflegung stimmt auch, würde ich sagen.«
»Au ja, Mami, ein Wochenende bei Oma Brownie!« Lars war Feuer und Flamme.
»Grundsätzlich spricht nichts dagegen.« Anne zögerte. »Aber du weißt ja, sonntagnachmittags sind wir immer bei Joachims Eltern.«
»Ich will aber nicht zu Oma Brav«, schmollte Lars. »Ich will bei Oma Brownie sein.«
»Liebling, alle wären sehr, sehr traurig, wenn du nicht mitkommst«, versuchte Anne ihn umzustimmen. Obwohl sie diese Besuche selber hasste wie die Pest, wollte sie Joachim nicht in den Rücken fallen.
»Lass nur«, schaltete sich ihre Mutter ein, »Rituale können stabilisierend wirken.« Sie zwinkerte ihrer Tochter zu. »Falls sie mit Leben gefüllt sind.« Selbstverständlich wusste sie, dass bei Joachims Eltern Friedhofsruhe herrschte.
Lars bestand darauf, den Schokoladenkuchen zum Dessert nebenan vor dem Kaminofen zu essen. Das gab Anne Gelegenheit, eine Sache anzusprechen, die ihr die ganze Zeit im Kopf herumgespukt hatte.
»Sag mal, Schuschu, was ist eigentlich Tantra-Sex?«
Der Gesichtsausdruck ihrer Mutter nahm etwas Entrücktes an. »Ohhh, das ist das Beste überhaupt. Es beginnt damit, dass man sich nackt gegenüber sitzt und einander in die Augen schaut. Lange. Sehr lange. Eine Stunde mindestens.«
»Eine ganze Stunde!«, staunte Anne.
»Sehr erotisch, glaub mir. Dann beginnt man, sich gegenseitigzu berühren. Auch sehr, sehr lange. Wenn man sich dann vereinigt« – ihr Blick war inzwischen vollkommen verzückt – »nimmt man sich alle Zeit der Welt. Der Mann legt es nicht darauf an, zu kommen. Er hält sich zurück, genießt nur das Jetzt. So kann man die ganze Nacht zusammen sein und auch den ganzen Tag.«
Es gab wohl kaum eine Mutter, die mit ihrer Tochter derart offen über Sex sprach. Von Anfang an war es so gewesen, und manchmal wusste Anne nicht, ob sie das gut finden sollte. Im Moment fand sie es großartig. Allerdings konnte sie sich schwer vorstellen, dass Joachim, dieses Muster an Effizienz, sich auf so etwas Abgefahrenes wie Tantra-Sex einlassen würde.
Gedankenverloren schob sie ihr Stück Schokoladenkuchen mit der Gabel auf dem Teller hin und her. »Hast du es ausprobiert?«
Ihre Mutter lächelte. »Immer wieder. Mit wachsender Begeisterung. Ich praktiziere es heute noch.«
»Mit wem?«, fragte Anne verblüfft.
»Mit jedem Mann, den ein gütiges Schicksal und die weise Natur mir schickt. Du weißt ja, ich halte nichts von der bürgerlichen Ehe. Nicht mal was von festen Beziehungen. Treue gibt es nur im Herzen.«
Na, das war ein Spruch! Sollte das etwa eine Aufforderung zum Seitensprung sein? Von der eigenen Mutter? Aber selbst, wenn Anne das ernsthaft erwogen hätte – Tantra-Sex und Muskelberge, das passte in etwa so gut zusammen wie grüner Tee und Filetsteak.
***
»Hast du mal auf die Uhr gesehen? Es ist halb neun!«
»Ich weiß.« Anne schlüpfte aus ihren Pumps und legte den Autoschlüssel auf die Ablage neben der Garderobe. »Lars wollte unbedingt bei meiner Mutter essen.«
Sie zog ihrem Sohn die Jacke und auch gleich alles andere aus. Seine Klamotten starrten vor Schmutz. »Ich komme gleich und sage dir gute Nacht,
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