Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Plädoyers vom Stapel zu lassen, egal, ob sein Klient schuldig oder unschuldig war. Er paukte jeden raus, auch sich selber. Nicht umsonst nannte man Anwälte Rechtsverdreher.
»Ja oder nein?«, fragte Anne. »Hast du mich mit ihr betrogen oder nicht?«
»Anne, dieses Projekt hat …«
Ging das schon wieder los! Warum gab er keine eindeutige Antwort? Sie hatte genug.
»Ich will nichts mehr hören«, fauchte Anne. »Und heute Nacht will ich allein schlafen. Du kannst die Couch haben.«
Stumm hörte Joachim zu.
»Mach dich fürs Erste auf ein paar Änderungen gefasst. Ich male wieder, ich gehe ab sofort mindestens zweimal die Woche zum Sport. Vielleicht belege ich demnächst einen Italienisch-Kurs.Ich habe mich viel zu lange angepasst. War immer die brave, kleine Ehefrau. Die ist Geschichte. Ich mache jetzt mein eigenes Ding!«
Joachim staunte. »Was ist in dich gefahren?«
»Die Erkenntnis, dass mir deine Vorstellung vom Leben zu wenig ist«, erwiderte Anne, während sie ein Geschirrhandtuch nahm und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. »Überleg dir, ob du damit klarkommst. Die Sonntage mit deiner Mutter sind übrigens gestrichen.«
Ohne seine Reaktion abzuwarten, ging sie an Joachim vorbei aus der Küche. Sie war so erschöpft, dass sie kaum laufen konnte. Dennoch fühlte sie sich befreit. Ohne sich auszuziehen oder die Zähne zu putzen, warf sie sich im Schlafzimmer aufs Bett und schlief sofort ein.
Anne hörte weder das Handyklingeln noch die Fanfarenstöße einiger SMS, die im Laufe der Nacht eingingen. Das Handy lag in ihrer Handtasche, und die lag in der Küche.
***
Am nächsten Morgen war Joachim verschwunden. Eine ordentlich zusammengefaltete Wolldecke auf der Couch war alles, was er zurückgelassen hatte. Sein Zahnputzzeug und sein Duschgel fehlten im Badezimmer. War er etwa ausgezogen? Heulend zu seiner Mutter gerannt?
Gleichmütig nahm Anne es hin. Sie hatten eine Krise. Eine dicke, fette Krise. Aber so sehr sie auch diese Ehe wollte, die Krise machte ihr weniger aus, als sie erwartet hatte. Es war ein Belastungstest. Jetzt würde sich erweisen, was ihre Beziehung zu Joachim Wert war.
»Wo ist Papi?«, fragte Lars, als Anne ihm seine Cornflakes hinstellte.
»Papi musste ganz früh arbeiten. Du hast nämlich einen sehr, sehr fleißigen Papi.«
Enttäuscht schürzte Lars die Lippen. »Aber heute Abend kommt er doch, oder?«
»Natürlich.« Leider war sich Anne da nicht so sicher. »Möchtest du einen Orangensaft?«
»Hm, ist er schön kalt?«
»Ja, ich hole ihn dir aus dem Kühlschrank.«
Anne ging in die Küche und öffnete die Kühlschranktür. Im gleichen Augenblick entdeckte sie ihr Handy. Es lag neben der Handtasche auf der Arbeitsfläche. Hatte Joachim es etwa herausgeholt? Und sich ihre SMS-Liste angesehen?
Mit bebenden Händen aktivierte sie das Display. Drei Anrufe in Abwesenheit. Von Tess. Und fünf SMS, ebenfalls von Tess. Auweia. Zum Glück keine Message von Marc. Die alten hatte Anne alle gelöscht. Sie klickte die Botschaften von Tess an.
Süße? Bist du da?
Hallo, das Raumschiff ist wieder gelandet!
Wie geht es dir? Wie hast du die Nacht im Playland überstanden? Heftig abgetanzt? Oder was Neues ausprobiert?
Anne wurde ganz schwummrig. Sie klickte weiter.
Der Fürst der Finsternis ist ein Knaller. Ich wandere durch den Garten der Lüste, hihi.
Gute Nacht, Süße, und vergiss nicht, deinem Joachim die Handschellen anzulegen.
Eine Riesenfaust rammte sich in Annes Magen. Sie suchte Halt an der Küchenspüle, um nicht umzusinken. Jetzt wusstesie, warum ihr Mann kommentarlos das Weite gesucht hatte. Auch er war in der Lage, eins und eins zusammenzuzählen. Was ihn zu dem Schluss gebracht haben musste, dass Anne ihr Wochenende nicht nur mit Aquarellen und Fitnessübungen verbracht hatte.
»Mami? Kriege ich meinen Orangensaft?«
»Ja, mein Schatz, kommt sofort!«, rief Anne.
Aber sie war unfähig, sich zu bewegen. Knappe zehn Stunden war es her, dass sie Joachim eine erbitterte Szene hingebrettert hatte. Inzwischen wusste er, dass seine Frau äußerst eigenartige Dinge trieb. Ohne ihn. Was sollte sie tun? Ihn anrufen? Ihm alles beichten? Und ihm vor allem erklären, dass sie es auch für ihn getan hatte?
»Mamiiiiee?«
Anne atmete einmal tief durch, dann holte sie den Orangensaft aus dem Kühlschrank, goss ein Glas voll und ging damit zum Esstisch. »Hier, mein Großer, da sind ganz viele Vitamine drin.«
»Vitamine – was ist das?«
Wenigstens mal ein
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