Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Landmann, zur Abwechslung im alles verstehenden, alles wegbügelnden Kindergärtnerinnen-Singsang, für den Anne sie am liebsten gewürgt hätte. Verstand sie denn gar nicht, worum es ging? Dass Lars gegen seinen Willen bei der Horrorgroßmutter schlechthin gefangen war?
»Nein!« Mit ihrer letzten Kraft bäumte Anne sich auf. »Ich muss ihn …«
Im nächsten Augenblick glühte vor ihren Augen nur nochein dunkles Rot, das sich langsam, langsam schwarz färbte. Es dauerte mindestens fünf Jahre, dieses Schwarz. Oder waren es nur fünf Minuten?
»Anne. Hey, Kleines.«
»Schuschu!« Aufschluchzend warf sich Anne in die Arme ihrer Mutter, die im Schneidersitz neben ihr auf den Kissen hockte.
Wie tröstlich es war, die Wange an den groben Stoff dieses Jeans-Overalls zu legen, den Geruch von Gewürzen, Duftkerzen und Räucherstäbchen einzuatmen. Mit dem silbernen Peace-Zeichen an ihrer Kette zu spielen, das über die Jahrzehnte matt geworden war. Und sich bei jemandem sicher zu fühlen, der ihre niederschmetternden Katastrophen kannte und sie dennoch nicht fallen ließ.
»Komm, mein kleiner Rabauke, ich bringe dich nach Hause«, raunte Oma Brownie zärtlich.
»Das hast du früher auch immer zu mir gesagt.«
Da war es wieder, dieses Lausbubengrinsen, das Anne so an ihrer Mutter mochte. »Und ich bin froh, dass du wieder ein Rabauke bist. Mir hat die brave Anne nie sonderlich gefallen.«
»Ach, Schuschu.«
»Ist sie transportfähig?«, erkundigte sich Frau Landmann, die in einem unförmigen, großkarierten Poncho ins Kuschelzimmer kam. Sie hob entschuldigend die Hände. »Ich müsste nämlich mal langsam los. Meine Therapeutin wartet auf mich.«
Im Stillen wünschte Anne der Therapeutin, die an Frau Landmanns Seele herumschraubte, starke Nerven.
»Was für eine Therapie ist es denn?«, fragte Oma Brownie interessiert.
Therapien waren ihre Domäne. Sie hatte so ziemlich jede Variante ausprobiert, wie Anne wusste: Tanztherapie, Schreitherapie, dynamische Therapie, Körpertherapie und was der Markt sonst noch so hergab.
Frau Landmann errötete übers ganze Gesicht. Offenbar in der Annahme, dass Anne nicht nur auf die Stirn, sondern auch auf beide Ohren gefallen war, flüsterte sie: »Ich war, äh, bin sexsüchtig.«
Oma Brownie lächelte. »Dafür musst du dich doch nicht schämen.«
Annes Mutter duzte jeden. Grundsätzlich und aus Prinzip, wie sie, die Prinzipienlose, gern versicherte. Natürlich duzte sie auch Frau Landmann.
»Soll ich dir mal einen guten Tipp geben? Leb es aus«, sagte sie. »Immer nur raus damit. Mach ich genauso.«
»Wirklich?« Ein Schimmer der Hoffnung glitt über das Gesicht der Erzieherin.
Irgendwie hatte Anne das Gefühl, dass Frau Landmanns Problem eher darin bestand, einen geeigneten Kandidaten für die Befriedigung ihrer angeblichen Sucht zu finden.
»Kein Ding«, erwiderte Oma Brownie lässig. »Bei Gelegenheit gebe ich dir ein Buch über Tantra-Sex.«
»Da ist man stunden-lang beschäftigt«, gab Anne ihr frisch erworbenes Wissen zum Besten. »Von früh bis spät und abends mit Beleuchtung. Und zwar ganz, ganz langsam.«
Frau Landmann wirkte nicht so, als ob sie auf diesen Rat gewartet hätte. Vermutlich schob sie Annes Bemerkung auf den verwirrten Geisteszustand einer Frau, die gerade unsanfte Bekanntschaft mit einem gekachelten Küchenboden gemacht hatte.
»Auf geht’s!« Mit der mühelosen Behändigkeit einer Zwanzigjährigen stand Oma Brownie auf. Vorsichtig schob sie einen Arm unter Annes Nacken. »Hilfst du mir mal, Gundula?«
Gemeinsam stemmten sie Anne hoch und hakten sie unter, um sie sicher nach draußen zu bringen.
»Du, genauso haben wir gestern Tess aus der Villa geschleift«, murmelte Anne, während sie das Pflaster betastete, das ihr jemand auf die Stirn geklebt hatte. »Aus der Villa des Fürsten der Finsternis. Wir haben sie vor dem sicheren Tod gerettet.«
»Sie phantasiert, hörst du das?«, fragte Frau Landmann.
Oma Brownie, die es besser wusste, lachte in sich hinein. »Jaja, die Gehirnerschütterung.«
Es bedurfte einiger Versuche, bis die beiden Frauen Anne in den Pickup gehievt hatten. Die Sitze waren so hoch, dass es ein schweres Stück Arbeit war, ihren kraftlosen Körper in die Fahrerkabine zu wuchten.
Winkend stand Frau Landmann auf dem Parkplatz, als Annes Mutter den Schlüssel ins Zündschloss steckte und den Motor aufheulen ließ. Aus dem Auspuff knallte es, dann setzte sich das museumsreife Gefährt tuckernd und röhrend in
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