Gib's mir
Ordnung», log ich.
«Bist du sicher?», sagte sie und drückte die Zigarette aus. «Ich finde nur, du siehst ein bisschen abgehetzt aus. Und irgendwie stimmt was nicht mit deiner Hautfarbe. Du bist so blass, fast grün. Das steht dir nicht.»
Ich spürte die falsche Hautfarbe genau. Ich fühlte mich, als hätte ich Vampire an den Füßen, die mein Blut abwärtssaugten. Irgendetwas schien mich einholen zu wollen – Angst, Wut, Entsetzen? –, was ich nicht recht einordnen konnte. Vielleicht alles und jedes davon?
Ich lehnte mich an die Wand.
«Dir geht’s doch nicht gut, hab ich recht?», hakte Jenny nach und sah mich mit einem sehr besorgten, mitfühlenden Blick an, in dem viele Jahre Freundschaft lagen.
Am liebsten hätte ich losgeheult.
Aber ich schüttelte den Kopf. «Nein», sagte ich langsam. «Mit geht’s nicht gut. Willst du was trinken oder so? Ich glaube, ich muss mich mal irgendwo hinsetzen.»
Ich hatte bereits zwei Bierdeckel vollkommen zerlegt und zerbröselt, jetzt spielte ich mit dem dritten.
Im Heart in Hand saß man ruhig unter Bäumen. Aus der Musikbox sang Aretha Franklin ein kleines Gebet für mich.
«Dann setz ihm ein Ultimatum», sagte Jenny und häufte dabei eine kleine Reihe Tabak auf ihr Zigarettenpapier. «Wenn du so absolut dagegen bist, ihn zum Teufel zu jagen, dann sorg wenigstens dafür, dass du von ihm die größte Entschuldigung deines Lebens zu hören bekommst, und mach ihm klar, dass er dir die Wahrheit über sich erzählen soll. Oder du sagst ‹Tintenfisch›. Geht das überhaupt? Könnt ihr miteinander über ‹Tintenfisch› reden? Ich meine, könnt ihr das Wort überhaupt und einfach so benutzen, wenn ihr miteinander sprecht? Oder müsst ihr dann sagen: das T-Wort?»
«Nein», antwortete ich. «Wir können schon ‹Tintenfisch› sagen.»
«Also, dann machst du’s so!», meinte Jenny und leckte ihr Rizla-Papier an.
«Aber das macht irgendwie keinen Sinn», sagte ich achselzuckend und ließ einen Finger um den Rand meines Pint-Glases kreisen. «Vielleicht tischt er mir nur noch einen weiteren Haufen Lügen auf. Oder aber er sagt die Wahrheit, aber ich glaube ihm nicht. Oder er sagt, da hast du aber Pech gehabt, das geht dich alles nichts an, ‹Tintenfisch› und tschüs.»
Jenny schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen, irritierten Zug von ihrer Selbstgedrehten.
«Abgesehen davon, interessieren mich diese Details eigentlich auch gar nicht mehr so sehr», fuhr ich fort und senkte dabei die Stimme, obwohl niemand in unserer Nähe saß. «Soll er doch irgendwelche krummen Sachen mit geklauten Antiquitäten machen. Ist mir doch egal. Ich wünsche ihm viel Glück dabei. Das Problem ist nur, dass er mir manchmal Angst macht. So wie vorhin. Ich dachte, wir waren uns einig, dass wir zusammen Phantasien durchspielen. Aber … ich bin mir manchmal nicht so sicher, ob er weiß, wo das Spiel aufhört. Dieses Ding mit der Vergewaltigungsphantasie zum Beispiel. Ich meine, wenn wir so was machen, dann muss ich es auch wollen. Und eben wollte ich nicht. Deshalb war es auch nicht in Ordnung. Sondern es war schrecklich. So als wollte er mich damit bestrafen, dass er vorhatte, mich zu ficken und …»
Ich brach ab, schluckte meine wütenden Tränen herunter und schmiss den Bierdeckel auf den Tisch.
«Und er wollte nicht, dass ich zu Wort komme», erklärte ich mit erstickter Stimme. «Der Dreckskerl wollte nicht, dass ich etwas sage.»
«Hey», sagte Jenny mit sanfter, beruhigender Stimme. «Reg dich nicht auf.» Sie strich über meine Hand und drückte dabei sanft meine Finger. «Er ist nicht mal das Salz deiner Tränen wert. Er ist ein herzloser Scheißkerl mit einem ganz miesen Charakter. Und er hat eine ziemlich ungesunde Einstellung dazu, was eine Beziehung ausmacht und wie man Leute behandelt. Du solltest dich ein Stück von ihm zurückziehen und die Sache aus der Distanz nochmal neu beurteilen. Mach dir klar, was du willst, Beth. Oder, wie ich sagte, mach sofort Schluss.»
Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht und wandte mich ab, starrte auf eines der bunten Glasfenster und bemühte mich, nicht loszuheulen.
«Aber das kann ich nicht», erwiderte ich, als die Tränen versiegt waren. «Das verstehst du nicht, Jen. Ich kann nicht einfach so gehen und alles vergessen. Es ist … ich weiß, dass das nicht gut ist, aber ich kann es nicht ändern. Ich weiß, dass er heute ein paar ganz miese Sachen abgelassen hat, aber ich kann nicht glauben, dass er es so gemeint
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