Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
offenen Aufzug zum Laufsteg im vierten Stock hinauf, von dort ging’s durch eine Tür, die zu einem Gewirr aus weißen Gängen führte. Schließlich gelangten sie in ein niedriges, fensterloses Konferenzzimmer. Es war klein und spartanisch, nur ein paar Möbel standen darin. Dominiert wurde der Raum von einem Tisch aus einem exotischen, polierten Holz, an den weißen Wänden hingen weder Gemälde noch Drucke. Gideon versuchte, sich eine passende Frotzelei auszudenken, aber es fiel ihm keine ein. Außerdem wäre sie an Garza vermutlich sowieso verschwendet, der gegen seinen Humor anscheinend immun war.
Am Kopfende des Tisches saß ein Mann in einem Rollstuhl. Es war der wohl am außergewöhnlichsten aussehende Mensch, den Gideon je gesehen hatte. Kurz geschnittenes, braunes, graumeliertes Haar bedeckte seinen mächtigen Kopf. Unter der hohen Stirn schimmerte ein durchdringendes graues Auge, das auf ihn geheftet war. Das andere Auge wurde von einer schwarzen Seidenklappe verdeckt, wie bei einem Piraten. Über die rechte Gesichtshälfte zog sich schnurgerade eine gezackte, dunkelviolette Narbe, vom Haaransatz, durch das verdeckte Auge, dann weiter zum Kinn, bis sie unter dem Kragen des gebügelten blauen Hemds verschwand. Ein schwarzer Nadelstreifenanzug vervollständigte das unheimliche, düstere Erscheinungsbild.
»Dr. Crew«, sagte der Mann und lächelte ein wenig, was seine Gesichtszüge jedoch kaum weniger hart erscheinen ließ. »Vielen Dank, dass Sie sich auf den weiten Weg hierher gemacht haben. Aber bitte nehmen Sie doch Platz.«
Garza blieb im Hintergrund stehen; Gideon setzte sich.
»Wie bitte?«, sagte Gideon und blickte sich um. »Kein Kaffee, kein Sprudel?«
»Mein Name ist Eli Glinn«, sagte der Mann und ignorierte Gideons Frage. »Herzlich willkommen bei Effective Engineering Solutions Incorporated.«
»Entschuldigen Sie bitte im Voraus, dass ich meinen Lebenslauf nicht mitgebracht habe. Aber Ihr Freund Garza hatte es ziemlich eilig.«
»Ich vergeude nur ungern meine Zeit. Wenn Sie also so freundlich wären, mir zuzuhören, dann erläutere ich Ihnen kurz den Auftrag.«
»Hat dieser Auftrag etwas mit dieser Disney World da unten zu tun? Flugzeugabstürze, Naturkatastrophen, Terrorangriffe – das nennen Sie Ingenieurarbeit?«
Glinn blickte ihn nachsichtig an. » EES hat sich unter anderem auf das Gebiet Fehleranalyse spezialisiert.«
»Fehleranalyse?«
»Zu verstehen, wie und warum etwas fehlschlägt – sei es nun ein Mordanschlag, ein Flugzeugunglück oder ein Terrorangriff –, stellt einen wesentlichen Bestandteil der Lösung von Ingenieurproblemen dar. Die Fehleranalyse ist das zweite Standbein der Ingenieurswissenschaft.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen.«
»Ziel der Ingenieurwissenschaft ist herauszufinden, auf welche Weise etwas erzeugt oder hergestellt wird. Aber darin liegt nur die eine Hälfte der Herausforderung. Die andere Hälfte besteht darin, alle möglichen Formen des Scheiterns zu analysieren, um diese zu
vermeiden
. EES tut beides. Wir lösen extrem schwierige technische Probleme. Und wir analysieren Fehlschläge. Wir haben weder bei der einen noch der anderen Aufgabe jemals versagt.
Niemals
. Mit einer geringfügigen Ausnahme, an deren Lösung wir noch arbeiten.« Er machte eine knappe Geste, so als wollte er eine lästige Fliege wegwedeln. »Diese beiden Dinge, die Ingenieurwissenschaft und die Fehleranalyse, bilden unser primäres Geschäft. Unser sichtbares Geschäft. Aber es dient uns auch zur
Tarnung
. Denn hinter der öffentlichen Fassade nutzen wir unsere Ressourcen, um von Zeit zu Zeit höchst ungewöhnliche und vertrauliche Vorhaben für spezielle Kunden auszuführen.
Sehr
spezielle Kunden. Und für eines dieser Projekte brauchen wir Sie.«
»Warum gerade mich?«
»Darauf komme ich gleich zu sprechen. Aber zunächst die Details. Ein chinesischer Wissenschaftler befindet sich auf dem Weg in die Vereinigten Staaten. Wir glauben, dass er Pläne für eine neuartige Hightech-Waffe bei sich hat. Wir sind uns nicht sicher, aber wir haben Grund zur Hoffnung, dass er überläuft.«
Gideon war kurz davor, eine sarkastische Bemerkung fallenzulassen, aber der Ausdruck in Glinns Augen hielt ihn davon ab.
»Seit zwei Jahren«, fuhr Glinn fort, »haben die Nachrichtendienste der USA Kenntnis von einem geheimnisumwitterten Projekt, an dem in einer unterirdischen Anlage auf dem Atomwaffentestgelände Lop Nor tief im Westen Chinas gearbeitet wird.
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