Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
Backsteingebäuden, die Schaufensterauslagen schäbig, ein Durcheinander von Telefonmasten, deren Leitungen auf klaustrophobische Art und Weise herabhingen. Hin und wieder konnte er durch den urbanen Wildwuchs einen Blick auf etwas werfen, das einst eine Innenstadt gewesen war: das Schriftdisplay eines Kinos, jetzt leerstehend; die Fensterfront eines ehemaligen Cafés. Vor fünfzig oder sechzig Jahren waren das alles voneinander getrennte kleine Städte gewesen, hell und freundlich, voll junger Mädchen und Typen mit Entenschwanzfrisuren. Jetzt bildeten sie nur noch gespenstisch zersiedelte Flächen mit einem endlosen Strom von
salumerias, mercados
, Discount-Läden und Handy-Shops.
Er überquerte die Grenze zum County Bergen und fuhr durch ein weiteres halbes Dutzend trostlos wirkender Städte. Natürlich gab es sehr viel schnellere Möglichkeiten, sein Ziel zu erreichen, aber Gideon wollte sich eine Weile im Autofahren verlieren. Er steckte voller unbehaglicher und nicht willkommener Gefühle: Erregung, weil er Nodding Crane entdeckt hatte, Scham und Verlegenheit, weil er Orchid so schlecht behandelt hatte. Er redete sich ein, dass alles zu ihrem Nutzen sei, zu ihrem Schutz; dass es besser sei, dass sie sich nicht mit einem Mann einließ, der nur noch ein Jahr zu leben hatte. Aber das verschaffte ihm auch kein besseres Gefühl. Er hatte sie ausgenutzt, hatte sie zynisch benutzt.
Während er weiter nach Norden fuhr, auf die Grenze des Staates New York zu, wurden die beengten Straßen breiter und grüner, und der Verkehr ließ nach. Die Häuser wurden größer und lagen weiter auseinander. Er blickte auf das Blatt Papier, das er auf den Beifahrersitz gelegt hatte.
Biyu Liang, Bergen Dafa Center
hatte er daraufgekritzelt. Weil van Rensselaer ihm unwissentlich die Anwesenheitslisten ausgehändigt hatte, war es ein Kinderspiel gewesen herauszufinden, welcher der asiatischen Jungen auf dem JFK Airport gewesen war – Jie Liang – und anschließend die Identität der Mutter festzustellen. Zwar wusste Gideon nicht, worum es sich bei einem
Dafa Center
handelte, aber es war der Arbeitsplatz der Frau – und sein Ziel.
Eine Viertelstunde später lenkte er den Wagen auf ein Gelände, das zu seinem Erstaunen ein altes Anwesen zu sein schien. Nicht riesig, aber gepflegt, ein großes Puddingstein-Gebäude, eine separate Garage und ein angrenzendes Torhaus, das Ganze inzwischen in eine Art kleinen Campus umgewandelt. Auf dem von der Straße zurückversetzten Schild stand BERGEN DAFA CENTER .
Gideon stellte den Wagen auf dem Parkplatz neben dem Hauptgebäude ab und ging die Stufen zur doppelflügeligen, mit gusseisernen Filigranarbeiten verzierten Eingangstür hinauf. Er betrat eine opulente Diele, die in einen Empfangsbereich umgewandelt worden war. Auf einem geschmackvollen Schild an einer Wand war zu lesen: FALUN - GONG - ÜBUNGEN WERKTAGS 15 bis 17 Uhr, UNTERRICHT WERKTAGS 19 bis 22 UHR . Drum herum hingen weitere Schilder mit Symbolen und chinesischen Schriftzeichen.
Hinter einem Schreibtisch saß eine junge Asiatin. Sie lächelte ihn an, als er näher kam.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie in akzentfreiem Englisch.
Gideon erwiderte ihr Lächeln. »Ich möchte bitte mit Biyu Liang sprechen.«
»Sie leitet im Moment eine Sitzung«, sagte die Frau und deutete in Richtung einer offenen Tür, aus der ein Gemisch aus Musik und Reden drang.
»Vielen Dank, ich warte, bis sie zu Ende ist.«
»Sie können auch zuschauen.«
Gideon ging an der Frau vorbei und betrat einen großen Raum von Zen-hafter Schlichtheit. Eine Frau führte eine Gruppe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch eine Reihe langsamer Übungen, alle bewegten sich leise zum hypnotischen Klang von Fünftonmusik, klimpernden Glöckchen und Perkussionsinstrumenten. Die Frau gab anscheinend Anweisungen in melodiösem Mandarin. Er betrachtete sie genauer. Sie war jünger als die Frau auf dem Flughafen, ähnelte ihr aber genug, dass die Frau auf dem Video die Großmutter des Kindes gewesen sein konnte.
Gideon wartete, bis die Sitzung zu Ende war. Währenddessen stieg seine Verwunderung über das, was er da sah. Es war etwas Unbeschreibliches in den Bewegungen, etwas Schönes, fast Universelles.
Falun Gong
. Er hatte vage davon gehört und erinnerte sich, dass es sich um eine Art buddhistischer Bewegung in China handelte. Keine Frage, er musste mehr darüber erfahren.
Die Sitzung setzte sich noch zehn Minuten fort. Während die Gruppe leise plaudernd
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