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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gegenstände standen, die sie aus der Entfernung nicht näher bestimmen konnte.
    Sie seufzte lautlos, strich sich mit einer Hand Schweißperlen von der Stirn und machte sich dann zögernd auf die Suche nach etwas, das ihnen helfen würde.
     
    Martin spürte, wie sich die Härchen in seinem Nacken aufstellten, als er von einem Geräusch aus seinen Gedanken gerissen wurde. Er sprang vorwärts zum Treppengeländer und blickte in die Tiefe.
    Vier Stockwerke tiefer, im Erdgeschoß, hatten sich dunkle Schatten abgelagert wie Kaffeesatz am Boden einer Tasse. Er fragte sich, warum in der Eingangshalle kein Licht brannte. Es gehörte zu Flaggs Aufgaben, immer für einen erleuchteten Empfang zu sorgen, doch jetzt war es dort unten stockfinster, und das Treppenhaus wirkte bodenlos wie ein schwarzer Abgrund. Stille hing nebelgleich zwischen den Etagen.
    Das Geräusch wiederholte sich. Ein Schleifen und Quietschen.
    Blitzartig raste sein Blick zur Tür des Ostflügels, die sich unter ihm im dritten Stock befand und von seiner Position aus gerade noch zu sehen war. Er spürte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen, als der meterhohe Türflügel langsam nach innen gezogen wurde und sich eine Gestalt vorsichtig durch den finsteren Spalt schob.
    Christopher!
    Martin war bereits die ersten Stufen nach oben geeilt, um Gwen zu warnen, als ihm plötzlich eine bessere Idee kam. Die wenigen Minuten konnten kaum ausgereicht haben, um Christophers Zimmer zu durchsuchen. Wenn es ihm aber gelang, seinen Stiefbruder eine Weile aufzuhalten, würde das Gwens Chancen erhöhen, irgendeine Handhabe gegen ihn zu finden.
    »Sieh mal einer an«, rief Martin kurzentschlossen, während er betont langsam die Stufen zur dritten Etage hinabstieg.
    Christopher fuhr herum. Als er Martin erkannte, faßte er sich. »Was willst du?« fragte er barsch.
    Martin lächelte freundlich. »Weißt du nicht, daß der Ostflügel tabu ist?«
    »Das geht dich nichts an«, erwiderte er finster und fügte mit bösem Grinsen hinzu: »…Brandstifter!«
    Martin tat, als hätte er die Spitze überhört. »Was glaubst du, wird der Lord sagen, wenn er erfährt, daß du dort drinnen herumstöberst?«
    Christophers Gesicht zuckte, aber noch hatte er sich unter Kontrolle. Martin schoß die Frage durch den Kopf, ob er seinem Gegenüber in einem Handgemenge gewachsen sein würde.
    »Ich stöbere nicht herum.« Das Zucken erreichte einen Höhepunkt, dann schienen sich Christophers Gesichtsmuskeln zu beruhigen.
    »So?« fragte Martin. »Was tust du dann? Staubwischen?«
    Für einen Augenblick sah es aus, als wollte Christopher sich auf ihn stürzen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, und seine Finger krümmten sich wie die Krallen eines Raubtieres. Doch dann entspannte sich sein Körper von einer Sekunde zur anderen, und er machte einen Schritt an Martin vorbei die Treppe hinauf.
    »Laß mich in Frieden«, sagte er nur.
    Martin dachte an Gwen. Wenn er Christopher jetzt gehen ließ, würde er sie finden, in seinem Zimmer, beim Durchsuchen seiner Sachen. Er wußte, daß er dieses Risiko nicht eingehen durfte. Statt dessen fuhr er herum und hielt den Jungen am Arm zurück.
    »Warte noch einen –«
    Weiter kam er nicht. Christopher federte herum, holte aus und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht. Martin schrie auf, stolperte ein, zwei Schritte zurück und taumelte gegen die Tür des Ostflügels.
    Vor seinen Augen loderte ein Inferno aus schwarzen Sternen. Sein Gesicht fühlte sich an, als stünde es in Flammen. Er konnte nicht einmal klar erkennen, wo der Schlag ihn getroffen hatte.
    »Laß mich in Frieden, hab ich gesagt!« brüllte Christopher. Sein Gesicht hatte sich wieder verändert, und nun war es fast die Fratze eines Wahnsinnigen. Wie er so dastand, sprungbereit vornübergebeugt, mit verkrampften Fäusten und unheilvoller Glut in seinen schwarzen Augen, hatte Martin zum erstenmal echte Angst vor ihm.
    Er mußte den furchterregenden Anblick nicht länger ertragen, denn im selben Augenblick drehte Christopher sich um und ging geradewegs die Treppe hinauf zu seinem Zimmer.
     
    Die gestohlenen Zigarren ihres Vaters lagen in einer schmalen Schachtel, die Christopher als Beschwerer auf einen Stapel mit bunten Zeichnungen gelegt hatte. Die Bilder zeigten ein bizarres Sammelsurium von Mißgeburten, bei deren Anblick Gwen schauderte.
    Sie stellte die Schachtel wieder an ihren Platz, vergewisserte sich noch einmal, daß es sich wirklich um die Marke ihres Vaters handelte,

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