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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie auf und wurde von einer klirrenden Explosion in tausend Stücke gerissen. Ihr Gesicht zersplitterten in einem Inferno aus berstenden Teilchen und zerplatzendem Glas.
    Aber all das sah Christopher nicht mehr. Er fühlte auch nichts mehr. Seine Empfindungen und Gedanken waren mit einemmal wie fortgewischt.
    Übrig blieb etwas, das schrie und kreischte, blind um sich schlug wie ein Berserker – und erkannte, daß die Verursacherin all seiner Qualen sich hastig umwandte und durch eine Öffnung im Dach entkommen wollte.
    Das, was einmal Christopher gewesen war, warf sich nach vorne und schlug zu.
     
    Gwen spürte, wie der Haken an ihrem Bein vorbeischrammte und eine Wunde ins Fleisch riß. Sie schrie vor Schmerz auf, dann hatte Martin sie schon von oben gepackt und riß sie mit einer kräftigen Bewegung durch die Luke hinaus aufs Dach.
    Regen peitschte in ihr Gesicht, und im gleichen Augenblick, da sie endlich Halt fand, krachte ein fürchterlicher Donnerschlag über ihren Köpfen. Die Verletzung schmerzte höllisch, trotzdem schlitterte sie los, fort von der Dachluke, mit einer Hand fest an Martins Arm geklammert und mit der anderen bemüht, Regen und Schweiß aus ihren Augen zu wischen, um zu erkennen, wo sie herliefen.
    Nicole und Miranda erwarteten sie mit verängstigten Gesichtern am Fuß einer Schräge. Gwen packte beide und lief weiter.
    Ein Blitz tauchte die ganze Szenerie in grellweiße Helligkeit, dann folgte ein Donner, der so laut war, daß sie glaubte, er würde ihre Trommelfelle zerreißen. Das Gewitter war jetzt genau über ihnen.
    Sie wußten nicht, wohin sie flohen, nur fort von den Dächern des Ostflügels, irgendwohin, wo es eine Möglichkeit gab, in die übrigen Teile des Hauses zu gelangen.
    Hinter ihnen tobte ein Schrei durch die Nacht, der selbst das tosende Unwetter übertönte. Gwen fuhr herum und sah voller Entsetzen, daß Christopher nur wenige Meter hinter ihnen war. Wie eine Spinne klebte er auf Händen und Knien an der gegenüberliegenden Dachschräge, rutschte an den nassen Schindern herab, schlug mit der Hüfte gegen einen Mauervorsprung und sprang trotzdem auf die Füße. Der Haken in seiner Hand schimmerte matt in der Dunkelheit. Durch den prasselnden Regen war sein Gesicht nur noch als formlose Fratze zu erkennen.
    Martin schob die beiden Kleinen hinter seinen Rücken, doch als er auch Gwen zu sich heranziehen wollte, schüttelte sie seine Hand ab. Ihr war eine verzweifelte Idee gekommen. Ohne auf Martins Rufe zu achten riß sie ihren Brieföffner unter dem Kleid hervor, wohin sie ihn vor einer scheinbaren Ewigkeit gesteckt hatte, und sprang auf Christopher zu.
    Sie hörte, wie die anderen gellend aufschrien, als ihr Stiefbruder ihr entgegenstürmte, weit mit dem Haken ausholte und ihn auf sie herabsausen ließ. Nur um Haaresbreite konnte sie dem fürchterlichen Hieb ausweichen, führte ihrerseits einen Stich mit der Klinge nach oben und verfehlte ihren Gegner – ganz wie es ihre Absicht gewesen war.
    Denn Gwen hatte andere Pläne. Ihr Angriff sollte Christopher nur reizen und seinen Haß auf sie lenken. Sie sprang zur Seite, sah durch dichte Vorhänge aus Regen vor sich einen besonders hohen Giebel in den Nachthimmel ragen und kletterte die Schräge hinauf. Mehrmals rutschte sie auf dem glatten Untergrund ab, und einmal spürte sie, wie Christophers Waffe nur fingerbreit neben ihrem Knöchel eine Dachschindel in Stücke hieb.
    Sie sah nicht zurück, schob sich nur weiter auf allen Vieren in die Richtung des Giebels und versuchte, ihre Erschöpfung und den pochenden Schmerz in ihrem Unterschenkel zu ignorieren. Kurz bevor sie die Spitze erreichte, raste ein weiterer Blitz durch die Nacht. Dann war sie oben.
    Sie wirbelte herum und sah Christopher, der wie ein riesiges Insekt hinter ihr her kletterte, mit abgehackten, scheinbar unkontrollierten Bewegungen und einem schrecklichen Grinsen auf den Lippen.
    Im selben Moment hämmerte ein weiteres Donnern von allen Seiten auf sie ein. Darauf hatte sie gewartet! Mit einem wilden Aufschrei ließ sie sich auf der anderen Seite des Giebels hinabfallen, rollte unter grausamen Schmerzen eine Schräge hinab und blieb schließlich halb betäubt in einer Rinne zwischen zwei Dächern liegen. Von dort aus blickte sie benommen zurück.
    Christopher hatte hinter ihr den Giebel erreicht und schaute auf sie herab. Breitbeinig stand er da, die Arme in die Höhe gerissen und das Gesicht verzerrt im Rausch der Gewalt, wie ein heidnischer Priester, der

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