Gier
auf einem kalten Plateau, das Fensterglas ließ die morgendliche Wintersonne wie Eiszapfen erscheinen. Von seiner Position aus konnte Sugarfoot jeden sehen, der Hobbas Wohnblock betrat oder verließ. Um diese Stunde waren eine Menge schlechtgelaunter Leute auf dem Weg zur Arbeit, fuhren in rostigen Autos zum Vic Market oder gingen zur Straßenbahnhaltestelle. Da waren Kinder in Parkas, diese verdammten Ausländerkinder, alle gekämmt und herausgeputzt, ein sicheres Zeichen dafür, daß ihre Eltern zwei Jobs machten, um sich irgendwann mal ein Haus in der Vorstadt leisten zu können.
Er nahm den stinkenden Fahrstuhl in den achten Stock, stellte fest, daß Hobba noch nicht zu Hause war, und ging durchs Treppenhaus wieder hinunter. Die Wohnungen waren so ungünstig angeordnet, daß dort eine Art Windkanal entstand und er sich gegen den zugigen Luftstrom beugen und Papierfetzen wegtreten mußte, die gegen seine Schienbeine flogen.
Im Kombi war es sehr kalt, der Kunststoffsitz hart und unnachgiebig. Zitternd saß er eingehüllt in seinem langen Mantel und fragte sich, ob er es riskieren könne, die Straße zu überqueren und ein Stück Kuchen und einen Kaffee zu kaufen. Noch nicht einmal halb zehn. Es war möglich, daß er sich auf langes Warten einstellen mußte.
Er stieg aus und rannte hinüber in das Café, drückte seinen Unterarm gegen die Taille, um die kleine .25er an ihrem Platz zu halten. Innerhalb von drei Minuten war er zurück. Der Kaffee war nur lauwarm, das Stück Kuchen schmaler als sonst, schon ein wenig altbacken und trocken, aber er fühlte sich besser.
Dreißig Minuten später drückten Kaffee und Kälte auf seine Blase.
Nirgends eine öffentliche Toilette. Keine Chance, in den Pub an der Ecke zu gehen. Zu weit weg, er könnte Hobba verpassen.
Blieb nur der Wohnblock. Piß einfach in den Fahrstuhl wie jeder andere auch. Er stieg aus dem Kombi, schloß ab, sah sich um und machte sich auf den Weg.
Als er den Parkplatz halb überquert hatte, inzwischen war es taghell, fühlte er etwas Hartes, das sich in seine geplagten Nieren bohrte und hörte Hobba in sanftem Ton sagen: »Es ist eine Waffe, Cowboy. Halt nicht an. Geh einfach weiter.«
Als erste Reaktion hob Sugarfoot die Hände. Um sie unter Kontrolle zu bekommen, wollte er sie in die Taschen stecken, doch Hobba schlug ihm mit dem Lauf gegen den Ellenbogen: »Halt sie da, wo ich sie sehen kann. Hast du eine Waffe?«
Sugarfoot räusperte sich. »In meinem Gürtel, unterm Mantel.«
»Gib sie mir später.«
Sie näherten sich den schweren, massiven Stützpfeilern im Erdgeschoß des nächstgelegenen Wohnungsblocks. Zehn Uhr, kein Mensch weit und breit. Sugarfoot sagte: »Was hast du vor?«
»Maul halten«, antwortete Hobba.
»Ivan weiß, daß ich heute vormittag hier bin – wenn mir irgendwas zustößt.«
Hobba stieß mit der Waffe zu. »Maul halten, hab ich gesagt.«
»Ivan hat Kontakte. Wenn mir was passiert, hast du sie am Arsch.«
»Sugar«, sagte Hobba müde. »Dein Bruder weiß, was für ein Schwachkopf du bist.«
»Yeah, und ist ganz schön ausgerastet, als er gesehen hat, was du neulich mit mir gemacht hast.«
»Und hat dir befohlen, dich da rauszuhalten, stimmt’s? Wenn er wüßte, wo du dich rumtreibst, würde er sagen: Na los, macht das kleine Arschloch fertig.«
Sugarfoot hüllte sich in Schweigen, er vermutete, daß das sogar stimmte. Nun befanden sie sich unter dem Gebäude, einem trostlosen, windigen Areal, zwischen abplatzendem, feuchten Putz und herumwirbelndem Abfall. Auf einmal war niemand mehr in der Nähe, nicht einmal ein Hausmeister oder eine türkische Witwe auf dem Weg zum Einkaufen.
»Bleib hier stehen«, sagte Hobba, und Sugarfoot fühlte, wie ein Arm ihn umfaßte, die .25er fand und ihn wieder losließ.
»Okay, rüber zum Aufzug.«
»Wo gehen wir hin?«
»Aufs Dach.«
Da standen sie und warteten auf den Aufzug. Sugarfoot warf Hobba, der mit seinem linken Arm schützend eine schwarze Sporttasche umklammerte, einen Blick von der Seite zu. Hobbas rechte Hand steckte in der Manteltasche, und Sugarfoot sah deutlich, wie sich dort die Waffe abzeichnete. Hobbas riesiger Kopf wirkte entschlossen. Ohrring und Pferdeschwanz kamen Sugarfoot wieder in den Sinn. Er fühlte, wie sein Herz zu trommeln begann.
Bring ihn zum Reden, lenk ihn ab. »Die Nachrichten reden von zehntausend, aber es war mehr, stimmt’s? Wyatt macht doch nur große Jobs.«
Hobba antwortete nicht. Er hatte den Knopf für den Fahrstuhl gedrückt
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