Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
nicht mehr als eine Vermutung.« Sie fächelte sich mit den Händen Frischluft ins Gesicht. »Paul, das ist …« Sie verdrehte die Pupillen, als müsste sie ihre eigenen Worte überdenken. »Was ist mit dir und Frau Brodbeck?«
»Was soll mit uns sein?«
Rita schloss die Bürotür. Langsam trippelte sie auf ihren Sandalen in den Raum. »Paul, Sebastian ist zwar ein bisschen zerstreut, aber nicht dumm.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat den Eindruck, dass du Frau Brodbeck kennst.«
Leugnen war zwecklos. »Ja, ich kenne sie. Na und? Sie ist eine alte … Schulfreundin. Mehr nicht. Sie hatte Angst, und ich hab ihr geholfen. Das ist doch in Ordnung, oder?«
»Nein, Paul, das ist es nicht. Es ist ein Fehler, und das weißt du auch!«
»Warum sollte das ein Fehler sein? Ich hab ihr nicht als Polizist geholfen, sondern als Freund.«
»Genau das macht die Sache noch viel schlimmer.«
Er reagierte nicht, sondern öffnete stattdessen ein leeres Dokument auf seinem Bildschirm. Er wollte nicht weiter darüber reden. Es war eh zu spät. Kalkbrenner begann, die Untersuchungsergebnisse des ausklingenden Tages niederzuschreiben, während er aus den Augenwinkeln sah, wie Rita den Raum verließ.
Später druckte er die Aufzeichnungen aus und heftete sie in die Ermittlungsakte. Dann las er noch einmal den Bericht der Spurensicherung zu den
Hermano-
Morden durch.
Rita klopfte an seine Tür. »Sebastian ist bereits zu den Angehörigen nach Neukölln unterwegs. Kollegen der Schutzpolizei begleiten ihn.«
Auch gut.
Es war ihm sogar sehr recht.
»Ich mach dann mal Feierabend. Und was machst du heute noch?«
»Ich lese noch den Bericht zu Ende, dann fahre ich auch nach Hause.«
»Dann bis morgen.«
»Grüß mir deinen Mann.«
Sie verharrte auf der Stelle. »Paul?« Für zwei, drei Sekunden sahen sie einander an. Doch Rita sprach nicht aus, was sie auf dem Herzen hatte. »Ach, nichts. Gute Nacht.«
75
Dossantos hockte auf seinem Hocker und griff nach der Zeitung, die der Politiker auf dem Tisch liegen gelassen hatte.
Ehrenbürger verhaftet!
Er überflog den Text: ein kurzer, knapper Bericht mit wenig Informationen. Die Neuigkeiten, die er gerade brühwarm erfahren hatte, wollte er auch ganz sicher nicht in der Zeitung lesen.
»Verfickte Scheiße!« Er ließ den
Kurier
zurück auf den Tisch fallen und schlug zornig auf die Platte. Die Kette der Handschellen klirrte in seinen Ohren. Der Luftzug seiner Bewegung fegte die Zeitung auf den steinigen Boden.
Ein Polizist schaute alarmiert zur Tür herein.
»Alles in Ordnung«, beruhigte Claudio den Beamten.
»Gar nichts ist in Ordnung«, fluchte Dossantos.
»Sei unbesorgt, es ist doch nicht das erste Mal, dass …«
»Diesmal ist es aber anders! Die sind mit einer ganzen Einheit in mein Haus eingefallen.«
»Sie werden nichts finden.«
»Natürlich werden sie nichts finden. Trotzdem müssen sie gute Gründe haben, wenn sie derart schwere Geschütze auffahren. Du hast Harenstett und diesen von Hirschfeldt gerade erlebt: So sicher, wie die sich fühlen, müssen sie etwas in der Hinterhand haben.« Ein unangenehmes Gefühl kroch durch seine Eingeweide. Unruhe, der Vorbote von Panik. »Ich kann hier nicht länger bleiben.«
»Bis morgen früh, zum Haftprüfungstermin, wirst du dich gedulden müssen.«
»Aber keinen Tag länger.« Dossantos’ Stimme wurde lauter. »Seht zu, dass ihr mich hier rausholt.«
»Miguel, wir sollten abwarten.«
»Abwarten?«
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.« Claudio räusperte sich umständlich, schaute angestrengt zur Tür und dämpfte seine Stimme. »Nur mal angenommen, es stimmt, was du vermutest, dass es diesmal anders ist. Wenn wir ausgerechnet jetzt unseren Einfluss geltend machen …«
»Wozu haben wir ihn dann?«
»… dürfte es nur den Verdacht erhärten, dass du …«
»Das ist mir egal.«
»Sie werden jeden deiner nächsten Schritte mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.«
»Dann müssen wir eben vorsichtig sein!«
»Beruhige dich wieder, du bist erregt.«
»Ich habe auch allen Grund dazu.« Dossantos verengte seine Augen zu Schlitzen. Scharf zischte er: »Sag Bruno, er soll zusehen, dass ich hier rauskomme.«
»Miguel, ich als dein Freund rate dir …«
»Claudio, du bist mein Anwalt. Ich bezahle dich dafür. Also mach verdammt noch mal, was ich dir sage!«
Eingeschnappt lehnte Boccachi sich zurück.
»Kann ich mich darauf verlassen?«
Seine Anwort war nur ein ergebenes Wispern. »Wann konntest du
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