Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
seltsam.
»Und?«, fragte er. »Warst du inzwischen auf Barbados?«
»Wäre ich dann noch hier?« Das Feuer gab ein knisterndes Geräusch von sich.
»Was ist passiert?«
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Vergeblich hielt David Block nach einem freien Sitzplatz Ausschau. Die Touristencafés an der Straße Unter den Linden waren hoffnungslos überfüllt, also schlenderte er die Straße entlang und vorbei an den bemalten Bärenskulpturen, die die Stadtväter alle paar Meter auf der Promenade hatten aufstellen lassen. Vor manchen Schaufenstern blieb er stehen, betrachtete die Auslagen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
Stattdessen beobachtete er die Heerscharen von Engländern, Belgiern und Skandinaviern, die wie am Fließband von Bussen herangekarrt und ausgespuckt wurden. Die schnatternden Touris fotografierten die Baustellen rund ums Brandenburger Tor, verirrten sich lachend zwischen den Betonstelen des Holocaust-Mahnmals und fielen schließlich erschöpft in die Cafés ein, wo sie weltmännisch einen Latte macchiato schlürften. Dabei schmeckte der Kaffee in jedem Berliner Puff besser.
Block konnte diese Tatsache beweisen, auch wenn viel Zeit vergangen war, seit er zum letzten Mal Leistungen in einem solchen Etablissement in Anspruch genommen hatte. Sein Leben hatte sich verändert. Jetzt war es an der Zeit, den letzten Schritt zu gehen.
Warm lachte ihm die Sonne ins Gesicht, als er endlich einen Tisch ergattert hatte. Es dauerte noch eine Viertelstunde, bis die Kellnerin endlich auf ihn aufmerksam wurde. Er beschwerte sich nicht. Es störte ihn nicht einmal, dass man ihn ignorierte. Genau deshalb hatte er eine der Touristenklitschen in Mitte ausgewählt: Nirgendwo anders konnte man besser unbemerkt bleiben, unscheinbar und unerkannt. Wie es sich gehörte, orderte er einen Latte macchiato.
Erste Wolken zogen langsam, aber stetig am Himmel auf und kündigten ein Sommergewitter an. Block holte den Laptop aus seiner Tasche und klappte das Display auf. Er startete ein kleines Widget, das dafür sorgte, dass seine IP-Adresse den Servern, bei denen er sich einloggte, verborgen blieb. In einem öffentlichen WLAN-Netz war das zwar eine Vorsichtsmaßnahme, die kaum vonnöten war, aber sicher war sicher. Erst danach öffnete er den Browser und ging auf die Website der Lufthansa.
Für einen Jossip Brown aus Manchester buchte er einen Flug von Berlin-Tegel nach Frankfurt. Bezahlt wurde das Ticket von einem Konto in Panama. Als Jaclyn Smith aus Johannesburg erwarb er einen zweiten Flug nach Frankfurt, diesmal wurde ein Konto in Luxemburg belastet.
Von Frankfurt aus flog das Ehepaar Alice und Peter Bannhoff gemeinsam und auf Kosten eines Kontos auf Grand Cayman nach Madrid. Drei Stunden später ging ein Flieger für Artie Smith nach Bangkok. In der gleichen Maschine saß Eleonora Hackman. Das Hotel in Thailand bezahlte Block von einem Nummernkonto in Antigua.
Einen Tag später machten sich die Geschwister George und Antoinette Miller auf den Weg nach New York. Sie reisten im Auftrag einer Firma, deren Konto bei einem Off-Shore-Holding-Trust auf den Bermudas beheimatet war. Ein gewisser Darren Shaw aus Kentucky und Beatrice van der Vaart aus Amsterdam flogen einen weiteren Tag später nach Kuba, ihrem endgültigen Ziel, wo sie vorerst in ein Hotel mit dem anrührenden Namen
The Socialist Paradise
einchecken würden. Das Zimmer würden sie bar bezahlen. Vielleicht sogar mit echten US-Dollars.
Danach würden sie auf Kuba unter einer weiteren Identität ein neues Leben beginnen. Wenn man nur wusste, wie, konnte man jederzeit ein neues Leben bekommen, so schnell und einfach, wie man ein Konto eröffnete. Block verfügte seit vielen Jahren über dieses Wissen. Endlich zahlte sich seine Arbeit bei Miguel Dossantos für ihn aus.
Schnell setzte er wieder eine ernste Miene auf. Ein Mann, der allein am Tisch selig vor sich hin grinste, erweckte nur Aufmerksamkeit.
Als die Bestätigungen der einzelnen Buchungen auf seine Mail-Accounts eingegangen waren und er sicher sein konnte, dass auch die Bankkonten belastet worden waren, beendete Block alle Programme. Er schmiss sie in den virtuellen Papierkorb, entleerte ihn, löschte anschließend die Festplatte und formatierte sie neu. Auch diese Arbeit war eigentlich überflüssig, denn die Mehrzahl der Banken, die er für die Bezahlung der Flüge und Zimmer benutzt hatte, gehörte ihm selbst und würde schon morgen nicht mehr existieren. Sie waren nicht mehr als virtuelle Postfächer, in den seltensten Fällen ein
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