Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
fragte der Portugiese.
»Er hat einen hübschen Drogencocktail intus.« Lehnhoff hielt eine Handfläche auf. »Das haben wir bei ihm gefunden.«
Im Kerzenlicht konnte Dossantos kleine Pillen erkennen, dazu weißes Pulver und Kügelchen in Alufolie.
»Und wer ist das?«
»Sieh selbst«, sagte Lehnhoff.
Erneut wollte Dossantos ihn zurechtweisen. Weiß Gott, er verspürte wenig Lust auf Rätselspiele. Doch da taumelte die Gestalt aus der Dunkelheit auf ihn zu.
»Er ist es, oder?«, flüsterte Lehnhoff.
Dossantos schwieg überrascht.
»Ich hab ihn wegen des Fotos in der Zeitung wiedererkannt.«
Offenbar war Lehnhoff doch nicht so dämlich, wie Dossantos angenommen hatte. Die Gestalt stolperte zu Boden. Dossantos ging vor ihr in die Knie. »Hören Sie mich?«
Keine Antwort.
»Ich rede mit Ihnen!«
Die Gestalt grinste. Ein erbärmlicher Anblick, aber trotzdem das Beste, was Dossantos seit Tagen passiert war. »Ich habe schon eine Idee.«
94
Der Stimme folgte ein Hund in die Datsche. Freudig hechelte Bernie auf Kalkbrenner zu. Er schleckte ihm die Hand, schüttelte sein nasses Fell und verspritzte das Regenwasser im ganzen Raum.
»Paps?«, rief Jessy erstaunt.
Ein Donnergrollen erschütterte die Uckermark. »Jessy!«
Seine Tochter tastete nach dem Lichtschalter neben der Tür, und die Deckenlampe flammte auf. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die abrupte Helligkeit. Seine Tochter stand im Türrahmen, ihr Freund Leif dahinter. Verdattert starrten sie Kalkbrenner an. Und Judith. Und wieder ihn. Er wollte nicht wissen, was in ihren Köpfen vorging. »Warum hast du nicht angerufen?«, fragte er.
Noch während die Worte über seine Lippen kamen, schalt sich Kalkbrenner einen Narren.
»Was machst du hier?«, erwiderte Jessy.
Für Sekunden setzte der Regen aus. Die Glut im Kamin gab ein Knistern von sich. Ein weiterer Donner. Bernie ließ sein Dackelbellen hören.
Wütend wandte sich seine Tochter ab und stürmte nach draußen. Ihre Bewegung war so plötzlich gewesen, dass Leif nicht reagieren konnte. Sie rannte ihn förmlich über den Haufen.
»Jessy«, rief Kalkbrenner und stemmte sich aus der Couch hoch.
»Paul«, sagte Judith, doch er beachtete sie nicht.
Er folgte seiner Tochter nach draußen auf die Lichtung. Der Wind peitschte ihm den Regen ins Gesicht. Innerhalb weniger Sekunden war er bis auf die Haut durchnässt.
Jessy stand an dem Wagen ihres Freundes, einem alten, verrosteten Polo. Das Haar klebte ihr am Kopf, ihre Tunika und die Jeans am Körper. Zornig funkelte sie ihren Vater an: »Sieht so etwa dein Besuch bei Oma aus?«
»Was …?!«
»Mama hat gesagt, du wolltest heute Abend Käthe Maria besuchen.«
Das Wasser lief in Strömen an ihm hinab. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Es donnerte, und er wartete, bis das Grollen langsam verhallte.
»Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst?«
»Ich habe dir sehr wohl gesagt, dass ich mit Leif ein paar Tage in die Datsche will.«
»Du hast mir gesagt, dass du …« Ihm fiel plötzlich ein, wie sie gestern mit ihm am Telefon gesprochen hatte und er ihr für einige Sekunden nicht richtig zugehört hatte. Er war auf Judith konzentriert gewesen, die neben ihm auf dem Beifahrersitz gekauert hatte.
Jetzt saß Judith mit einer schuldbewussten Miene auf der Couch im Wohnzimmer, das Glas Wein fest umklammert. Dabei konnte sie am allerwenigsten dafür.
Der Regen trommelte auf das Blechdach des Polo. Ein Trommelwirbel für sein schlechtes Gewissen. Dabei gab es eigentlich keinen Grund dafür. Egal, wie die Situation auf Jessy gewirkt hatte. »Jessy, es ist nicht so, wie du denkst.«
Er wischte sich übers Gesicht. Das klang wie die Entschuldigung eines miesen Darstellers in einer Daily Soap. Jessy lachte, aber nicht deshalb. »Paps, bitte, ich bin erwachsen.«
»Judith ist …«
»Das ist mir ziemlich egal, was sie ist.«
»… die Frau von …«
»Spar es dir.«
Jessy ging zum Wagen. »Bernie, komm!« Sie öffnete die Kofferraumklappe. »Wir wollen niemanden stören.« Der Bernhardiner sprang ins Auto. Jessy winkte ihrem Freund. »Fahren wir jetzt endlich?«
Leifs Blick kreuzte den von Kalkbrenner. Der Freund seiner Tochter zuckte verlegen mit den Achseln, stapfte durch den Regen und setzte sich hinters Steuer.
Jessy zog mit einem Ruck die Beifahrertür zu. Leif startete den Polo. Bevor er anfuhr, kurbelte Jessy noch einmal die Scheibe herab. »Ach, und übrigens … ich hab dich auf dem Weg hierher angerufen.« Sie schleuderte
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