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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Kleiderschrank lief. Gerümpel polterte ihm entgegen: Auf der Wäsche lagen Bücher. Ein zerkrümelter Keks. CDs, obwohl seine Mutter nie ein Abspielgerät besessen hatte. Er griff nach weißen Baumwollschlüpfern und stopfte sie in einen kleinen Koffer. Wie viele sollte er einpacken? Würde seine Mutter noch einmal ins Heim zurückkehren?
    Nur wenig war seiner Mutter von ihrem alten Leben geblieben: ein paar Möbelstücke, auf dem Nachttisch ihre Handtasche, auf einem schmalen Wandregal zwei kleine Bilderrahmen. Die Fotos zeigten Käthe Maria mit ihrem Mann, Pauls Vater, und Kalkbrenner als kleinem Jungen. Daneben lag eine Schmuckschatulle geöffnet. Sie enthielt einige Ketten, Ringe und Ohrclips. Nichts von Bedeutung. Einen Grund für eine Rückkehr suchte er in diesem Zimmer vergeblich. Schon vor dem Herzinfarkt hatte seine Mutter hier nichts gehalten.
    Als Kalkbrenner nach den Nachthemden griff, kam es ihm vor, als würde er keinen Koffer packen, sondern den letzten Akt eines langen Lebens schließen. Das Ende.
    Fotos flatterten zwischen den Kleidungsstücken hervor. Seine Mutter und die Unordnung. Er beugte sich zu den Bildern hinab. Momente eines Menschenlebens: ein gelbstichiges Hochzeitsbild seiner Eltern. Auf einer Aufnahme waren Ellen und er zu sehen. Auf einer anderen stand er allein in Polizeiuniform vor dem Präsidium. Eine weitere zeigte ihn im Kreise seiner Kommilitonen während des Studiums, an einem Abend bierseliger Ausgelassenheit. Ein Bild zeigte ihn und Richard Stäuber. Von einem anderen lächelte ihm Jessy an ihrem ersten Schultag entgegen. Ihre Schultüte war mit allerlei nützlichen Schreibutensilien gefüllt gewesen, Leckereien gab es nicht. Seine Tochter war an jenem Tag furchtbar wütend gewesen. Aber damals hatte sie Probleme mit ihren Zähnen gehabt.
    Obwohl die Bilder bereits einige Jahre alt waren, machten sie einen gut erhaltenen Eindruck. Seine Mutter musste sie bis zuletzt wie einen Schatz gehütet haben.
    Er nahm ein Polaroidbild auf. Überrascht stellte er fest, dass es ihn und Judith während des Urlaubs in der Dominikanischen Republik zeigte. Es war das einzige Bild von den paar Tagen. Sie selbst hatten keine Fotos gemacht, sie hatten nur den Urlaub genießen wollen. Ein Touristen-Fotograf vor Ort hatte es geschossen und ihnen zu einem überteuerten Preis verkauft. Paul konnte sich nicht erinnern, das Foto behalten zu haben. Noch weniger konnte er sich erklären, wie es in den Besitz seiner Mutter gelangt war.
    Egal. Viel schlimmer war die Tatsache, dass diese paar läppischen Fotos die dürftige Summe ihres Lebens darstellten. Schweren Herzens kramte er die Bilder zusammen und steckte sie in seine Jackentasche. Anschließend klappte er den Koffer zu und machte sich auf den Rückweg zur Charité.
    Es war weit nach 23.00 Uhr, als er das Krankenhaus wieder verließ, aber er verspürte keine Müdigkeit. Es war nicht davon auszugehen, dass sich in nächster Zeit etwas daran ändern würde. Zu sehr tobte die Verzweiflung hinter seinen Schläfen. Mal war es Wut, die ihn packte, dann die Trauer darüber, dass Käthe Maria hilflos in dem Krankenbett lag und er ihr nicht helfen konnte. Nie konnte er helfen. Judith hatte recht: Er kam immer dann, wenn es bereits zu spät war.
    Er hörte seine Mailbox ab, lauschte noch einmal Ritas Nachricht. Er notierte sich die Telefonnummer, die seine Sekretärin ihm hinterlassen hatte, wählte sie und orderte das Taxi mit dem Fahrer Michal Kasprowicz zum Präsidium.
    »Sind Sie dieser Kommissar?«, wollte der Taxifahrer wissen, als Kalkbrenner sich auf die Rückbank setzte.
    »Sind Sie Michal Kasprowicz?«
    Kasprowicz strich sich sein krauses Haar glatt und drückte die Zigarette im Ascher aus. »Jesses, ich lebe seit 30 Jahren in Deutschland, habe eine Arbeitserlaubnis, einen gültigen Personenbeförderungsschein und …«
    »Vergessen Sie die Fahrerlaubnis«, unterbrach ihn Kalkbrenner.
    »Ich verstehe nicht, was Ihr immer denkt: Nur weil ich Pole bin, lasse ich …«
    »Mich interessiert auch nicht Ihre Herkunft.«
    »Geht es um die Sache mit meiner Frau?« Kasprowicz beäugte ihn wachsam im Rückspiegel. »Jesses, ist Ihnen noch nie die Hand ausgerutscht? Ich kann doch nicht hinnehmen, dass …«
    »Es geht auch nicht um Ihre Frau.«
    »Nicht?« Der Pole legte seinen Kopf schief. »Was wollen Sie dann von mir?«
    »Sie hatten letzte Woche Montag einen Fahrgast …«
    »Sie meinen diesen Lehrer?«
    »Sie können sich an ihn

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