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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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tauchte nicht in der Zeitung auf. Und natürlich auch nicht der von Frieder von Hirschfeldt. Selbst Hönig hatte also Wort gehalten.
Keine weiteren Schlagzeilen mehr.
Aber zu welchem Preis?
    Martina hatte den Raum verlassen. Er war wieder allein. Kein unbekanntes Gefühl. Er zog die Schublade auf und griff nach dem Seil, das er gestern Abend im Baumarkt gekauft hatte, kurz nachdem er bei Anton Heiland im Büro gewesen war und ihm seine Rücktrittserklärung ausgehändigt hatte. Heiland hatte ihn erstaunt angesehen, doch Hönig hatte nichts gesagt, hatte sich nur umgedreht und den Raum, das Abgeordnetenhaus und die Partei für immer verlassen. Danach hatte er das Seil besorgt und in die Schublade gelegt.
    Er rückte den Stuhl zurecht, stellte ihn direkt unter den massiven Haken, der aus den Stuckornamenten an der Decke herausragte. Dann knüpfte er das Seil zu einem Strick mit Schlaufe, und anders als der verflixte Windsor-Knoten gelang ihm das auf Anhieb.
    Er stellte sich auf die Sitzfläche des Stuhls und befestigte das lose Ende am Haken. Die Schlaufe legte er sich um den Hals. Der Vorteil eines alten Hauses war zweifelsohne die Robustheit seiner Wände und Decken. Selbst ein simpler Haken konnte schwere Gewichte aushalten.
    Etliche Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Keiner davon war tröstlich. Frieder hatte ihn verstoßen. Seine Frau wollte sich von ihm trennen. Er hatte seinen Sohn nicht mehr im Griff. Sein eigenes Leben war ihm entglitten. Die Zukunft ergab keinen Sinn mehr. Karl-Edmund Hönig machte einen Schritt ins Leere. Der Strick zog sich um seine Kehle zusammen.
    Martinas Stimme drang an sein Ohr. »Und was Lars betrifft, sollten wir uns vielleicht …« Den Rest bekam er schon nicht mehr mit.

142
    Judith kam zu Kalkbrenner auf die Straße hinunter. Sie umarmte ihn, drückte sich an ihn, küsste ihn. Er umschloss sie und hielt sie fest, als wollte er sie nie mehr hergeben. Der Duft von
Chanel No. 5
umgab sie
.
Aber da war noch mehr, was er an ihr roch: die Sonne, das Meerwasser, die Freiheit. Er sog das alles wie ein neues Parfüm in sich auf. Das Gefühl, das sich dabei seiner bemächtigte, war keineswegs unangenehm, er könnte sich daran gewöhnen.
    »Komm«, sagte Judith und nahm ihn an der Hand, »ich möchte dir was zeigen.«
    Sie führte ihn durch kleine, verwinkelte Gässchen zum Hafen. Neben den Fischerbooten schaukelten Jachten am Pier. »Kannst du dich an die Fotos erinnern?«
    Er konnte. »Hier lag das Boot deines Vaters.«
    Judith trat auf einen schmalen Steg. »Hier stand ich früher oft und habe ihm gewunken, wenn er raus aufs Meer gefahren ist. Manchmal habe ich ihn auch begleitet.«
    Sie setzte sich auf die Holzplanken und steckte die nackten Zehen ins Wasser. Er folgte ihrem Beispiel. Das Wasser war angenehm warm.
    Mit nassen Füßen durchquerten sie den Ort. Vieles kannte Kalkbrenner noch von den Bildern, die Judith ihm gezeigt hatte. Es kam ihm so vor, als wäre er nicht zum ersten Mal hier. Als wäre ihre Flucht nach 20 Jahren nun endlich gelungen.
    Sie erreichten den Strand. Die Surfer waren inzwischen verschwunden. Nur noch wenige Menschen flanierten am Meer entlang. Die Brandung rauschte in ihren Ohren, unendlich, vertraut und vergnügt.
    Der Blick reichte weit über die blauen Wellenkämme hinaus bis zum Horizont, wo die letzten Ausläufer der Sonne sich vom Tag verabschiedeten. Und mit einem Mal verstand Kalkbrenner: Wer wie Judith diese paradiesische Anmut einmal erlebt hatte, würde sie nicht mehr missen wollen. Selbst er konnte sich nicht mehr vorstellen, woanders zu leben, und dabei war er gerade mal einige Stunden hier.
    Judith spürte seine Emotionen, aber das überraschte ihn nicht. Wie immer durchschaute sie ihn. »Das ist ein Traum, oder?«, stellte sie fest.
    »Es ist
dein
Traum.«
    »Nein, Paul, es ist
unser
Traum.«
    »Für den andere Menschen mit ihrem Leben bezahlen mussten«, sagte er unvermittelt.
    »Müssen wir darüber reden? Das ist Vergangenheit.«
    »Dann möchte ich sie hier und jetzt abschließen. Erst danach kann ich mich der Zukunft zuwenden.«
    Sie sackte in sich zusammen. »Damals nach meiner Erkrankung, da habe ich Matthias geheiratet. Ich habe wirklich gedacht, es wäre Liebe. Weißt du, Liebe, so wie bei uns. Aber heute glaube ich, es war nur Dankbarkeit. Die Jahre zogen ins Land, und ich spürte immer mehr, dass ich Matthias keine Gefühle entgegenbrachte, jedenfalls nicht mehr. Ich ging in seiner Gegenwart kaputt. Matthias widerte mich an. Die

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