Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Zuhälter leichtes Spiel. »So kommt es nach einiger Zeit dazu, dass die Opfer nicht mehr mit brutaler physischer Gewalt überwacht und eingesperrt werden müssen. Die Fesseln befinden sich im Kopf der Opfer«, bedauert eine Sprecherin der »Dortmunder Mitternachtsmission e. V.«.
Gelingt einer Frau die Flucht oder wird sie von den Ermittlungsbehörden aus ihrer Zwangslage befreit, droht ihr die Abschiebung, oder wie es im Amtsdeutsch heißt: »Ausreiseverpflichtung«. Diese könne gemäß §55 Abs. 3 des Ausländergesetzes allenfalls ausgesetzt werden, wenn erhebliche öffentliche Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit des ausreisepflichtigen Ausländers im Bundesgebiet erfordern. »Erhebliche öffentliche Interessen« können vorliegen, wenn der Ausländer als Zeuge in einem Strafverfahren benötigt wird. Meist ist es schwierig, die Frauen als Zeuginnen gegen die Übeltäter zu gewinnen. Dazu muss nicht nur ihre Angst aus dem Weg geräumt werden, sondern auch ihre Hoffnungslosigkeit. Das gelingt nur selten. Von den 2001 beim Bundeskriminalamt als Menschenhandelsopfer erfassten 923 Frauen konnten gerade mal 21 bundesweit in den »Zeugenschutz« genommen werden.
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Anja hatte sich in Asmil T. verguckt. Sie ließ sich zu dem Millionär Richard K. in der Eifel fahren. Dort angekommen klagte sie diesem jedoch ihr Leid und bat ihn, bei der Beschaffung eines Passes behilflich zu sein. »Ich möchte doch nur noch zurück nach Polen«, so Anja. Richard K. versprach ihr: Wenn sie für vier Wochen seine Geliebte werde, würde sie nicht nur 5.000 Euro bekommen, sondern er sich auch um ihren Pass bemühen.
Das klang erneut nach Prostitution. Asmil besänftigte die aufgebrachte Anja. »Alles wird gut werden«, sagte er. Anja ließ sich auf das Spiel mit dem schwerreichen Millionär ein. Unglücklicherweise verplapperten sich eines Tages die beiden Begleiter Asmils und sprachen in ihrer Anwesenheit von »deinem Zuhälter«. Für Anja brach eine Welt zusammen. Sie beschloss erneut zu fliehen. Vorher ging sie zu Richard K. und forderte die versprochenen 5.000 Euro ein.
Richard K. sah sie ungläubig an: »Wieso?«, meinte er. »Deine Leute haben das Geld doch schon einkassiert.«
Asmil T., ihr »Verlobter«, ließ es sich gut gehen – auf ihre Kosten. Als Anja Richard K. wenigstens um ihren Ausweis bat, den er ihr in Aussicht gestellt hatte, weigerte dieser sich mit den Worten: »Du bist nicht wie vereinbart vier Wochen bei mir geblieben!«
Anja flüchtete erneut und reiste zurück nach Berlin. Sie suchte Hilfe bei Bela, die inzwischen den Absprung geschafft hatte und in einem Club arbeitete, der von einer ehemaligen Prostituierten geführt wurde. Anja ging sich den Club ansehen: Er war exklusiv ausgestattet mit Dominastudio und Whirlpool und es gab, so wusste Bela zu berichten, keinen Grund zur Klage. Die Frauen, die dort arbeiteten, bekamen 60 Prozent ihrer Einnahmen ausgezahlt; das lag weit über dem, was normalerweise in Clubs gezahlt wurde. Bela meinte: »Komm, lass uns das hier durchziehen, es geht ganz einfach, wir verdienen uns unser Geld und hauen dann ab nach Polen!«
Anja willigte ein. Als sie sah, wie Bela eines Abends Heroin spritzte, meinte diese nur: »Ich muss mich ja ab und zu wohl fühlen. Manchmal geht es eben doch nicht so einfach.«
Nach einer Weile hatten die beiden ausreichend Geld zurückgelegt und wollten nach Berlin, um dort Anjas Pass zu beantragen. Am Bahnhof traf Bela einen Dealer und organisierte sich Heroin. Sie setzte sich umgehend einen Schuss. Anja sollte ihr dabei helfen, Bela erklärte ihr, wie es funktioniert: »Drück mir zu!« Als Bela ihr ebenfalls einen Schuss anbot, dachte Anja: »Naja, ich kann es ja mal kennen lernen.«
Und wann, wenn nicht jetzt? Sie ließ sich von Bela die Nadel setzen und ...
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Der aus TV -Krimis bekannte Zeugenschutz ist nur Personen aus dem Täterkreis der Organisierten Kriminalität vorbehalten. Opfer von Menschenhandel erfüllen die Aufnahmekriterien aus vielfältigen Gründen nicht, so fehlen ihnen zum Beispiel meist detaillierte Kenntnisse der Organisationsstruktur. Christian Steiof vom LKA Berlin: »Zeugenschutz im klassischen Sinne bedeutet die vollkommene Aufgabe der Identität, des früheren Lebens, Abbruch sämtlicher sozialer Kontakte. Das wollen wir nicht! Wir wollen sicherstellen, dass die Frauen keinen Repressalien der Täter ausgesetzt sind. Wir bringen sie daher an Orten unter, die keinem bekannt sind. Wir wollen ihnen aber
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