Gier, Kerstin
bei
seinen Gönnern in Ungnade fällt, aber ich mache mir diesbezüglich wenig
Hoffnung.
12
Mr Marley runzelte seine Stirn, als wir in den
Chronografenraum platzten.
»Hatten
Sie ihr nicht die Augen verbun...?«, begann er, aber Gideon ließ ihn nicht
ausreden.
»Ich werde
heute mit Gwendolyn ins Jahr 1953 elapsieren«, erklärte er.
Mr Marley
stemmte die Hände in die Hüften. »Das dürfen Sie nicht«, sagte er. »Sie
brauchen Ihr Zeitkontingent für die Operation Schwarzer Turmalin Schrägstrich
Saphir. Und falls Sie es vergessen haben, die findet zeitgleich statt.« Vor Mr
Marley stand der Chronograf auf dem Tisch und die Edelsteine funkelten im
künstlichen Licht.
»Planänderung«,
sagte Gideon kurz angebunden und drückte meine Hand.
»Davon
weiß ich nichts! Und ich glaube Ihnen nicht.« Mr Marley verzog ärgerlich seinen
Mund. »Meine letzte Order besagt eindeutig . ..«
»Rufen Sie
doch einfach oben an und erkundigen Sie sich«, unterbrach ihn Gideon und zeigte
auf das Telefon an der Wand.
»Genau das
werde ich auch tun!« Mr Marley stakste mit roten Ohren zum Telefon. Gideon
ließ mich los und beugte sich über den Chronografen, während ich wie eine
Schaufensterpuppe neben der Tür stehen blieb. Jetzt, wo wir nicht mehr laufen
mussten, war ich plötzlich vollkommen regungslos, erstarrt wie eine abgelaufene
Spieluhr. Nicht mal mein Herz fühlte ich mehr klopfen. Es war, als würde ich
langsam zu Stein werden. Eigentlich hätten die Gedanken in meinem Kopf rotieren
müssen, aber das taten sie nicht. Da war nichts als dumpfer Schmerz.
»Gwenny,
es ist schon alles für dich eingestellt. Komm her.« Gideon wartete nicht, bis
ich seiner Aufforderung nachkam, er achtete auch nicht auf Mr Marleys Protest
(»Lassen Sie das! Das ist meine Aufgabe!«), er zog mich zu sich, nahm meine
schlaffe Hand und legte einen Finger vorsichtig in das Fach unter dem Rubin.
»Ich bin gleich bei dir.«
»Sie haben
nicht die Erlaubnis, den Chronografen eigenmächtig zu bedienen«, schimpfte Mr
Marley und nahm den Hörer ab. »Ich werde unverzüglich Ihrem Onkel Bescheid geben,
dass Sie die Regeln missachten.« Ich sah noch, wie er eine Nummer wählte, dann
schwamm ich in einem Strudel rubinroten Lichts davon.
Ich
landete in vollkommener Dunkelheit und tastete mich mechanisch vorwärts, in der
Richtung, in der ich den Lichtschalter vermutete.
»Lass mich
das machen«, hörte ich Gideon sagen, der lautlos hinter mir gelandet war. Zwei
Sekunden später flackerte die Glühbirne an der Decke auf.
»Das ging
aber schnell«, murmelte ich.
Gideon
drehte sich zu mir um.
»Ach
Gwenny«, sagte er sanft. »Es tut mir alles so leid!« Als ich mich weder rührte
noch ihm antwortete, war er mit zwei langen Schritten bei mir und nahm mich in
die Arme. Er zog meinen Kopf an seine Schulter, legte sein Kinn auf mein Haar
und flüsterte: »Alles wird gut. Ich verspreche es dir. Alles wird wieder gut.«
Ich weiß
nicht, wie lange wir so dastanden. Vielleicht waren es seine Worte, die er ein
ums andere Mal wiederholte, vielleicht aber auch seine Körperwärme, die ganz
allmählich meine Erstarrung auftaute. Jedenfalls brachte ich schließlich ein
Flüstern über die Lippen. »Meine Mum ... ist nicht meine Mum«, sagte ich
hilflos.
Gideon
lotste mich zum grünen Sofa in der Raummitte und setzte sich neben mich. »Ich
wünschte, ich hätte es gewusst«, sagte er bekümmert. »Dann hätte ich dich
vorwarnen können. Ist dir kalt? Du klapperst mit den Zähnen.«
Ich
schüttelte den Kopf, lehnte mich gegen ihn und schloss die Augen. Für einen
Moment wünschte ich mir, dass die Zeit stillstehen würde, hier im Jahr 1953 auf
diesem grünen Sofa, wo es keine Probleme, keine Fragen, keine Lügen gab, sondern
nur Gideon und seine tröstliche Nähe, die mich einhüllte.
Doch
leider pflegten meine Wünsche nicht in Erfüllung zu gehen, das wusste ich aus
bitterer Erfahrung.
Ich
öffnete die Augen wieder und blickte Gideon von der Seite an. »Du hattest
recht«, sagte ich kläglich. »Das hier ist wahrscheinlich wirklich der einzige
Ort, wo sie uns nicht stören können. Aber du wirst Ärger kriegen!«
»Ja, ganz
bestimmt sogar.« Gideon lächelte leicht. »Vor allem, weil ich Marley etwas ...
nun ja ... unsanft davon abhalten musste, mir den Chronografen zu entreißen.«
Sein Lächeln wurde kurzfristig grimmig. »Die Operation Schwarzer Turmalin und
Saphir wird dann wohl an einem anderen Tag stattfinden müssen. Obwohl ich jetzt
noch
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