Gier, Kerstin
sein.«
»Äh, ja, sehr beeindruckend.«
In der Tat! Der gruselige alte Junkie. »Er hat mich nach Transsylvanien
gefragt, leider konnte ich ihm da wenig Auskunft erteilen.«
»Ja, es
muss hart für ihn gewesen sein, im Exil zu leben«, sagte Mr Marley, um gleich darauf
ein ziemlich schrilles »Huch!« auszustoßen.
Eine
Ratte, dachte ich nur und riss mir panisch die Augenbinde vom
Gesicht. Aber es war keine Ratte, die Mr Marley zum Kreischen gebracht hatte.
Es war Gideon. Noch ein bisschen unrasierter als heute Nachmittag, aber mit
ungemein wach leuchtenden Augen. Und so unglaublich, unverschämt, unfassbar gut
aussehend.
»Ich bin's
nur«, sagte er lächelnd.
»Das sehe
ich«, sagte Mr Marley mürrisch. »Sie haben mir einen Heidenschrecken
eingejagt.«
Und mir
erst. Meine Unterlippe fing wieder an zu beben und ich grub meine Schneidezähne
hinein, damit sie Ruhe gab. Dummes Ding!
»Sie
können Feierabend machen, ich bringe Gwendolyn zum Wagen«, sagte Gideon und
hielt mir wie selbstverständlich die Hand hin.
Ich setzte
eine möglichst hoheitsvolle Miene auf (so gut man das mit den Vorderzähnen in
der Unterlippe eben kann - wahrscheinlich sah ich aus wie ein Biber. Ein
hoheitsvoller Biber aber immerhin.) und ignorierte die Hand.
»Das geht
nicht«, sagte Mr Marley. »Ich habe den Auftrag, die Miss bis zur... aaaargh!«
Er starrte mich entsetzt an. »Oh, Miss Gwendolyn, warum haben Sie sich das Tuch
abgenommen? Das ist gegen die Vorschrift.«
»Ich
dachte, es wäre eine Ratte«, sagte ich und warf Gideon einen finsteren Blick
zu. »Womit ich ja auch gar nicht so falsch lag.«
»Da sehen
Sie, was Sie angerichtet haben«, sagte Mr Marley anklagend zu Gideon. »Ich weiß
gar nicht, was ich jetzt... das Protokoll besagt... und wenn wir ...«
»Machen
Sie sich nicht ins Hemd, Marley. Komm, Gwenny, wir gehen.«
»Das
dürfen Sie gar nicht... ich muss darauf bestehen, dass ...«, stotterte Mr
Marley. »Und ... und ... und Sie sind mir gegenüber auch gar nicht
weisungsberechtigt, äh, - befugt, meine ich natürlich.«
»Dann
gehen Sie doch petzen.« Gideon griff nach meinem Arm und zog mich einfach
vorwärts. Zuerst wollte ich mich wehren, aber mir war klar, dass ich damit nur
noch mehr Zeit verlieren würde. Wahrscheinlich würden wir morgen noch hier
stehen und diskutieren. Also ließ ich mich vorwärtsziehen und warf Mr Marley
einen entschuldigenden Blick über die Schulter zu. »Wiedersehen, Leo.«
»Ja,
genau. Wiedersehen, Leo«, sagte Gideon.
»Das ...
das wird Folgen haben«, stotterte Mr Marley hinter uns her, sein Kopf strahlte
in dem dämmrigen Gang wie ein Leuchtfeuer.
»Ja, ja.
Wir zittern jetzt schon vor Angst.« Gideon schien es egal zu sein, dass Mr
Marley ihn noch hören konnte. »Blöder Streber.«
Ich
wartete, bis wir um die nächste Ecke gebogen waren, dann machte ich mich los
und beschleunigte meine Schritte, bis ich fast lief.
»Irgendwelche
olympischen Ambitionen?«, erkundigte sich Gideon.
Ich
wirbelte auf dem Absatz herum. »Was willst du von mir?« Leslie wäre stolz auf
mein Fauchen gewesen. »Ich hab's wirklich eilig.«
»Ich
wollte noch mal sichergehen, dass meine Entschuldigung von heute Nachmittag
auch wirklich bei dir angekommen ist.« Aus seiner Stimme war nun jeder Spott
verschwunden.
Aus meiner
allerdings nicht. »Ja, das ist sie allerdings«, schnaubte ich. »Was aber nicht
heißt, dass ich sie angenommen habe.«
»Gwen ...«
»Schon
gut, du brauchst nicht wieder zu sagen, dass du mich wirklich magst. Ich mochte
dich auch, weißt du? Ich mochte dich sogar sehr. Aber das hat sich jetzt
erledigt.« Ich rannte die Wendeltreppe hinauf, so schnell ich konnte. Mit dem
Ergebnis, dass ich, oben angelangt, vollkommen außer Atem war. Am liebsten
hätte ich mich keuchend über das Geländer gehängt. Aber die Blöße wollte ich
mir nicht geben.
Zumal
Gideon kein bisschen angestrengt zu sein schien. Also hetzte ich weiter
vorwärts, bis er mich am Handgelenk packte und zum Stehenbleiben zwang. Ich
zuckte zusammen, weil seine Finger meine Schnittwunde zusammenpressten. Sie begann,
wieder zu bluten.
»Es ist
okay, dass du mich hasst, wirklich, ich habe kein Problem damit«, sagte
Gideon, wobei er mir ernst in die Augen sah. »Aber ich habe Dinge in Erfahrung
gebracht, die es nötig machen, dass wir zusammenarbeiten, du und ich. Damit
du... damit wir lebend aus dieser Sache wieder rauskommen.«
Ich versuchte,
mich zu befreien, aber sein Griff wurde nur fester. »Und was
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