Gier, Kerstin
Kunstkeller und
blickte mich neugierig von der Seite an.
Ich
verwandte all meine Aufmerksamkeit darauf, die raschelnden Röcke weit genug
anzuheben, um nicht darüber zu stolpern. »Meine Freundin Leslie und ich waren
vor ein paar Jahren gezwungen, einen überfahrenen Frosch in die Suppe einer
Mitschülerin zu legen - das nimmt uns Direktor Gilles leider immer noch übel.«
»Ihr wart gezwungen, einen Frosch in die Suppe einer Mitschülerin zu legen?«
»Ja«, erwiderte
ich und bedachte ihn mit einem hochnäsigen Blick. »Aus pädagogischen Gründen
muss man manchmal Dinge tun, die auf Außenstehende befremdlich wirken.«
Im Keller,
gleich unter einem an die Wand gepinselten Zitat von Edgar Degas - »Ein Bild
muss mit demselben Gefühl gemacht werden, mit dem ein Verbrecher seine Tat
ausführt« -, hatten sich bereits die üblichen Verdächtigen um den Chronografen
versammelt: Falk de Villiers, Mr Marley und Dr. White, der auf einem der Tische
medizinische Bestecke und Verbandszeug ausbreitete. Ich war froh, dass wir
wenigstens Giordano in Temple zurückgelassen hatten, wo er vermutlich noch
immer auf der Eingangstreppe stand und die Hände rang.
Mr George
zwinkerte mir zu. »Ich hatte gerade eine gute Idee«, raunte er. »Wenn du nicht
mehr weiterweißt, wirst du einfach ohnmächtig - die Frauen fielen damals
laufend in Ohnmacht, ob wegen der geschnürten Korsetts oder der schlechten Luft
oder weil es einfach praktisch war, genau kann das niemand sagen.«
»Ich werde
es im Hinterkopf behalten«, sagte ich und war versucht, Mr Georges Tipp gleich
mal auszuprobieren. Leider schien Gideon meine Absicht zu durchschauen, denn er
nahm meinen Arm und lächelte leicht.
Und dann
hatte Falk auch schon den Chronografen enthüllt, und als er mich zu sich
winkte, fügte ich mich in mein Schicksal, nicht jedoch ohne ein Stoßgebet zum
Himmel zu schicken, dass Lady Brompton das Geheimnis ihres Spezialpunsches an
ihre gute Freundin, die Ehrenwerte Lady Pimplebottom, weitergegeben hatte.
Meine
Vorstellungen von Bällen waren vage. Und von historischen Bällen geradezu
nicht existent. Deswegen war es vermutlich kein Wunder, das ich nach Tante
Maddys Vision und meinen Träumen von heute Morgen ein Zwischending aus Vom Winde
verweht und den rauschenden Festen aus Marie
Antoinette erwartete, wobei der schöne Teil meines Traums gewesen
war, dass ich Kirsten Dunst verblüffend ähnlich gesehen hatte.
Aber ehe
ich meine Vorstellungen auf ihre Echtheit überprüfen konnte, mussten wir erst
einmal aus dem Keller kommen. (Mal wieder! Ich hoffte inständig, dass meine
Waden nicht Langzeitschäden vom vielen Treppenlaufen davontrugen.)
Trotz
aller Nörgelei musste ich zugeben, dass die Wächter die Sache diesmal schlau
eingefädelt hatten. Falk hatte den Chronografen so eingestellt, dass wir
ankamen, als der Ball über uns schon seit Stunden im Gang war.
Ich war
unendlich erleichtert, dass es so kein Vorbeidefilieren an den Gastgebern
geben würde. Insgeheim hatte ich riesige Angst vor einem Zeremonienmeister
gehabt, der mit einem Stab auf den Boden geklopft und mit lauter Stimme unsere
falschen Namen verkündet hätte. Oder, noch schlimmer, die Wahrheit: »Ladys und
Gentlemen!« Klopf, klopf. »Gideon de Villiers und Gwendolyn Shepherd,
Hochstapler aus dem 21. Jahrhundert. Beachten Sie bitte, dass Korsett und Reifrock
nicht etwa aus Fischbein, sondern aus Hightech-Kohlefasern bestehen! Die
Herrschaften kamen übrigens durch den Keller ins Haus!«
Bei dem es
sich diesmal um ein besonders dunkles Exemplar handelte, sodass ich leider
gezwungen war, Gideons Hand zu nehmen, ansonsten hätten mein Kleid und ich es
nicht heil nach oben geschafft. Erst im vorderen Teil des Kellers, dort, wo in
meiner Schule der Gang zu den Medienräumen abzweigte, tauchten an den Wänden
Fackeln auf, die ihr flackerndes Licht über die Wände warfen. Augenscheinlich
waren hier die Vorratskammern untergebracht, was angesichts der Eiseskälte
sicher sinnvoll war. Aus bloßer Neugier warf ich einen Blick in einen der
angrenzenden Räume und blieb verblüfft stehen. So viel Essen hatte ich noch nie
auf einmal gesehen! Offenbar sollte auf den Ball eine Art Bankett folgen, denn
auf Tischen und auf dem Fußboden standen unzählige Platten, Schüsseln und
große Bottiche voll der merkwürdigsten Speisen. Vieles war ausgesprochen
kunstvoll angerichtet und mit einer Art durchsichtigem Wackelpudding umhüllt.
Ich entdeckte große Mengen vorbereiteter
Weitere Kostenlose Bücher