Gier, Kerstin
Tage. Es wird Euch freuen zu hören, dass das Blut
von Elaine Burghley und Lady Tilney nun im Chronografen eingelesen ist.«
Ich zuckte
zusammen. Lady Tilney? Wie hatte er das nur angestellt? Sie hatte bei unserem
letzten Treffen nicht den Eindruck gemacht, als würde sie ihr Blut freiwillig
hergeben. Misstrauisch blickte ich Gideon von der Seite an. Er würde ihr doch
nicht etwa mit Gewalt Blut abgezapft haben? In meiner Vorstellung sah ich sie
verzweifelt mit Häkelschweinen nach ihm werfen.
Der Graf
klopfte ihm auf die Schulter. »Fehlen also nur noch Saphir und Schwarzer
Turmalin.« Er stützte sich auf seinen Stock, aber in dieser Geste lag nichts
Gebrechliches. Stattdessen wirkte er ungeheuer machtvoll. »Oh, wenn er wüsste,
wie nahe wir dran sind, die Welt zu verändern!« Mit dem Kopf wies er in den
Ballsaal, wo ich an der anderen Seite Lord Alastair von der florentinischen
Allianz erkannte, wie beim letzten Mal mit reichlich Schmuck behängt. Die
Klunker in seinen zahlreichen Ringen funkelten bis zu uns hinüber. Das tat auch
sein Blick, eisig und hasserfüllt, selbst auf diese Distanz. Hinter ihm ragte
drohend eine schwarz gekleidete Gestalt auf, aber dieses Mal machte ich nicht
den Fehler, sie mit einem Gast zu verwechseln. Es handelte sich um einen Geist,
der zu Lord Alastair gehörte wie der kleine Robert zu Dr. White. Als er mich
bemerkte, bewegte sich sein Mund und ich war froh, dass ich seine
Beschimpfungen nicht bis hierhin hören konnte. Es reichte, dass er mich in
meinen Albträumen heimsuchte.
»Da steht
er und träumt davon, uns mit seinem Degen zu durchbohren«, sagte der Graf und
er klang dabei fast zufrieden. »Tatsächlich denkt er seit Tagen an nichts
anderes. Er hat es sogar geschafft, seinen Degen in diesen Tanzsaal zu
schmuggeln.« Er strich sich über das Kinn. »Weshalb er weder tanzt noch sitzt,
er steht nur steif und starr wie ein Zinnsoldat herum und wartet auf eine Gelegenheit.«
»Und ich
durfte meinen Degen nicht mitnehmen«, sagte Gideon vorwurfsvoll.
»Keine
Sorge, mein Junge, Rakoczy und seine Leute werden Alastair nicht aus den Augen
lassen. Das Blutvergießen überlassen wir heute Abend den tapferen Kuruzzen.«
Ich sah
erneut zu Lord Alastair und dem schwarz gekleideten Geist hinüber, der nun
mordlüstern sein Schwert in meine Richtung schwenkte. »Aber er würde uns doch
nicht ... vor allen Leuten ... ich meine, auch im 18. Jahrhundert durfte man
nicht einfach so ungestraft morden?« Ich schluckte. »Lord Alastair würde nicht
riskieren, unseretwegen am Galgen zu landen, oder?«
Die
schweren Lider verbargen die dunklen Augen des Grafen für einige Sekunden, als
ob er sich auf die Gedanken seines Gegners konzentrierte.
»Nein,
dazu ist er zu schlau«, sagte er langsam. »Aber er weiß auch, dass er nicht
allzu viele Gelegenheiten haben wird, euch beide jemals wieder vor seine Klinge
zu bekommen. Er wird sie nicht einfach verstreichen lassen. Da ich dem Mann,
den ich für den Verräter in unseren Reihen halte - und nur ihm! -, zugespielt
habe, um welche Uhrzeit ihr beiden euch wieder - unbewaffnet und allein - für
den Rücksprung in den Keller begeben müsst, werden wir ja sehen, was
passiert...«
»Äh«,
sagte ich. »Aber ...«
Der Graf
hob seine Hand. »Keine Sorge, Kind! Der Verräter weiß nicht, dass Rakoczy und
seine Leute euch auf Schritt und Tritt bewachen werden. Alastair schwebt der
perfekte Mord vor: Die Leichen lösen sich nach der Tat praktischerweise in Luft
auf.« Er lachte. »Bei mir würde das natürlich nicht funktionieren, daher plant
er für mich einen anderen Tod.«
Na toll.
Ehe ich
die Nachricht verdauen konnte, dass wir sozusagen Freiwild auf Abschuss waren,
was meine Einstellung zu diesem Ball im Allgemeinen und Besonderen nicht
gerade änderte, kehrte der bunte Erste Sekretär - ich hatte seinen Namen
schon wieder vergessen - mit zwei Gläsern Weißwein zurück. In seinem Schlepptau
befand sich ein weiterer alter Bekannter - der dicke Lord Brompton. Er freute
sich über alle Maßen, uns wiederzusehen, und küsste meine Hand viel öfter, als
es der Anstand geboten hätte.
»Ah, der
Abend ist gerettet«, rief er. »Ich freue mich so! Lady Brompton und Lady
Lavinia haben Euch auch schon gesehen, aber sie wurden auf der Tanzfläche aufgehalten.«
Er lachte, dass sein dicker Bauch wackelte. »Man hat mich beauftragt, Euch zum
Tanzen zu holen.«
»Das ist
eine gute Idee«, sagte der Graf. »Junge Leute sollten tanzen! Ich habe in
meiner
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