Gier, Kerstin
Jugend auch keine Gelegenheit ausgelassen.«
Oha, es
ging also los. Jetzt kam die Sache mit den beiden linken Füßen und diesem »Wo
war noch mal rechts?«-Problem, das Giordano als »eklatanten
Orientierungsmangel« bezeichnet hatte. Ich wollte meinen Weißwein auf Ex
kippen, aber da entwand mir Gideon schon das Glas und reichte es dem Ersten
Sekretär.
Auf der
Tanzfläche stellte man sich für das nächste Menuett auf. Lady Brompton winkte
uns begeistert zu, Lord Brompton verschwand im Gewühl und Gideon platzierte
mich gerade rechtzeitig zum Einsetzen der Musik in der Reihe der Damen, genauer
gesagt, zwischen einem blassgoldenen und einem grün bestickten Kleid. Das Grüne
gehörte Lady Lavinia, wie ich mit einem Seitenblick feststellte. Sie war genauso
schön, wie ich sie in Erinnerung hatte, und ihre Ballrobe erlaubte selbst für
diese doch recht freizügige Mode ausgesprochen tiefe Einblicke in ihr
Dekollete. An ihrer Stelle hätte ich mich nicht getraut, mich zu bücken. Aber
Lady Lavinia wirkte deswegen nicht gerade besorgt.
»Wie
wunderbar, Euch wiederzusehen!« Sie warf ein strahlendes Lächeln in die Runde
und insbesondere auf Gideon, um gleich darauf in der Anfangsreverenz zu
versinken. Ich tat es ihr nach und fühlte in einem Anflug von Panik meine Füße
nicht mehr.
Eine
Vielzahl von Anweisungen schwirrten durch meinen Kopf und ich hätte um ein Haar
»Links ist dort, wo der Daumen rechts ist« gestammelt, doch da schritt Gideon
bei der Tour de Main schon an mir vorbei und
merkwürdigerweise fanden meine Beine wie von selbst in den Rhythmus.
Die
festlichen Klänge des Orchesters erfüllten den Saal bis in den letzten Winkel
und die Gespräche um uns herum verebbten.
Gideon
nahm die linke Hand in die Hüfte und reichte mir seine rechte. »Herrlich, diese
Haydn-Menuette«, sagte er im Plauderton. »Wusstest du, dass der Komponist fast
den Wächtern beigetreten wäre? In ungefähr zehn Jahren, auf einer seiner
Reisen nach England. Er überlegte damals, sich dauerhaft hier in London
niederzulassen.«
»Sag
bloß.« Ich tanzte an ihm vorbei und legte meinen Kopf etwas zur Seite, um ihn
im Blick zu halten. »Ich wusste bisher nur, dass Haydn ein Kinderquäler war.«
Zumindest hatte er mich in der Kindheit gequält, dann nämlich, wenn Charlotte
ihre Klaviersonaten mit derselben Verbissenheit geübt hatte, die sie jetzt an
den Tag legte, um den Chronografen zu finden.
Doch das
konnte ich Gideon nicht mehr erklären, denn inzwischen waren wir aus einer
Viererfigur in einen großen Kreis getanzt und ich musste mich darauf
konzentrieren, dass es rechtsherum ging.
Woran es
genau lag, wusste ich nicht, aber mit einem Mal fing die Sache an, mir richtig
Spaß zu machen. Die Kerzen warfen ein wunderschönes Licht auf die prachtvollen
Abendgarderoben, die Musik klang nicht mehr langweilig und verstaubt, sondern
genau richtig, und vor, hinter und neben mir lachten die Tänzer unbeschwert.
Selbst die Perücken sahen nicht mehr so affig aus und ich fühlte mich für einen
Moment ganz leicht und frei. Als sich der Kreis auflöste, schwebte ich auf
Gideon zu, als hätte ich nie etwas anderes gemacht, und er blickte mir entgegen,
als wären wir plötzlich allein im Saal.
In meiner
seltsamen Hochstimmung konnte ich nichts anderes tun, als ihn anzustrahlen,
ohne Rücksicht auf Giordanos Mahnung, im 18. Jahrhundert niemals die Zähne zu
zeigen. Aus irgendeinem Grund schien mein Lächeln Gideon völlig aus der
Fassung zu bringen. Er nahm meine ausgestreckte Hand entgegen, aber anstatt
nur seine Finger leicht unter meine zu legen, umklammerte er sie.
»Gwendolyn,
ich lasse mir von niemandem mehr ...«
Ich sollte
nicht erfahren, was er sich von niemandem mehr ließ, denn in diesem Moment
griff Lady Lavinia nach seiner Hand, legte meine dafür in die ihres
Tanzpartners und sagte lachend: »Wir tauschen mal kurz, einverstanden?«
Nein, von
einverstanden konnte von meiner Seite aus keine Rede sein und auch Gideon
zögerte einen Moment. Doch dann verneigte er sich vor Lady Lavinia und ließ
mich wie die nichtssagende kleine Ziehschwester (die ich ja im Grunde auch war)
links liegen. Mein Hochgefühl verschwand genauso schnell, wie es aufgetaucht
war.
»Ich habe
Euch vorhin schon von Weitem bewundert«, sagte mein neuer Tanzpartner, als ich
aus meiner Reverenz hervortauchte und ihm die Hand reichte. Am liebsten hätte
ich sie sofort wieder losgelassen, denn seine Finger waren feucht und klebrig.
»Mein Freund, Mr
Weitere Kostenlose Bücher