Gier, Kerstin
war
erst am Montag, Gideon.«
»Ja,
stimmt. Kommt einem schon wieder vor wie eine Ewigkeit, oder? Als ich dann
endlich nach Hause durfte, habe ich im Zehnminutenrhythmus bei dir angerufen,
um dir zu sagen, dass ich dich ...« Er räusperte sich, um wieder meine Hand zu
nehmen, »... um dir alles zu erklären, aber es war die ganze Zeit besetzt.«
»Ja, da
habe ich Leslie erzählt, was für ein gemeiner Mistkerl du doch bist«, sagte
ich. »Aber wir haben auch eine Festnetznummer, weißt du?«
Er beachtete
meinen Einwurf nicht. »Während der Wählpausen habe ich angefangen, die Papiere
zu lesen. Es handelt sich um Prophezeiungen und Notizen aus dem Privatbesitz
des Grafen. Unterlagen, die die Wächter nicht kennen. Die er seinen eigenen
Leuten mit voller Berechnung vorenthalten hat.«
Ich
stöhnte. »Lass mich raten. Noch mehr alberne Gedichte. Und du hast kein Wort
verstanden.«
Gideon
beugte sich vor. »Nein«, sagte er langsam. »Ganz im Gegenteil. Es war ziemlich
eindeutig. Dort steht, dass jemand sterben muss, damit der Stein der Weisen
seine volle Wirkung entfalten kann.« Er blickte mir direkt in die Augen. »Und
dieser Jemand bist du.«
»Aha.« Ich
war nicht so beeindruckt, wie ich vermutlich hätte sein sollen. »Dann bin ich also der
Preis, der bezahlt werden muss.«
»Mich hat
es ziemlich geschockt, als ich es gelesen habe.« Gideon fiel eine Haarsträhne
ins Gesicht, aber er bemerkte sie gar nicht. »Ich konnte es anfangs gar nicht
glauben, aber die Prophezeiungen waren eindeutig. Das rubinrote Leben erlischt,
des Raben Tod offenbart das Ende, der zwölfte Stern erbleicht und so weiter und
so fort, es wollte überhaupt kein Ende nehmen.« Er machte eine kleine Pause.
»Noch eindeutiger waren die Notizen, die der Graf an den Rand geschrieben hat.
Sobald der Kreis geschlossen ist und das Elixier seine Bestimmung gefunden
hat, sollst du sterben. Das steht da beinahe wörtlich.«
Ich
schluckte nun doch. »Und wie soll ich sterben?« Unwillkürlich musste ich
wieder an Lord Alastairs blutige Degenklinge denken. »Stand das auch da?«
Gideon
lächelte leicht. »Nun, die Prophezeiungen sind da wie gewohnt vage, aber eine
Sache wird immer und immer wieder betont. Dass ich, also der Diamant, der Löwe,
die Nummer elf, irgendwas damit zu tun haben werde.« Das Lächeln verschwand
aus seinem Gesicht und in seine Stimme trat etwas, was ich noch nie vorher
gehört hatte. »Dass du meinetwegen stirbst.
Aus Liebe.«
»Oh. Ähm.
Aber«, sagte ich wenig einfallsreich. »Das sind doch nur irgendwelche Reime.«
Gideon
schüttelte den Kopf. »Verstehst du denn nicht, dass ich das nicht zulassen
konnte, Gwenny? Nur deshalb bin ich auf dein dummes Spiel eingegangen und habe
so getan, als hätte ich dich angelogen und mit deinen Gefühlen gespielt.«
Jetzt ging
mir ein Licht auf. »Damit ich nicht auf die Idee kommen sollte, aus Liebe zu
dir zu sterben, hast du am nächsten Tag dafür gesorgt, dass ich dich hasse? Das
war aber wirklich sehr... wie soll ich sagen ... ritterlich von dir.« Ich
beugte mich vor und strich ihm diese widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Wirklich, sehr ritterlich.«
Gideon
grinste schwach. »Glaub mir, das war das Schwerste, was ich jemals getan
habe.«
Jetzt, wo
ich einmal angefangen hatte, konnte ich meine Finger nicht mehr von ihm lassen.
Meine Hand wanderte langsam über sein Gesicht. Zum Rasieren war er offenbar
nicht mehr gekommen, aber die Bartstoppeln fühlten sich irgendwie sexy an.
»Lass uns
Freunde bleiben - das war wirklich ein ziemlich genialer
Schachzug«, murmelte ich. »Ich habe dich auf der Stelle innig gehasst.«
Gideon stöhnte.
»Aber das wollte ich gar nicht - ich wollte wirklich, dass wir
Freunde sind«, sagte er. Er griff nach meiner Hand und hielt sie einen Moment
fest. »Dass dich dieser Satz so wütend machen würde...«Er ließ den Rest einfach
in der Luft hängen.
Ich beugte
mich noch näher heran und nahm sein Gesicht in beide Hände. »Na ja, vielleicht
merkst du es dir einfach für die Zukunft«, flüsterte ich. »Diesen Satz sagt man
niemals, niemals, niemals zu jemandem, den man geküsst hat.«
»Warte,
Gwen, das ist nicht alles, ich muss dir noch etwas ...«, begann er, doch ich
hatte nicht vor, das hier länger hinauszuzögern. Ich legte vorsichtig meine
Lippen auf seine und begann, ihn zu küssen.
Gideon
erwiderte meinen Kuss, zuerst ganz sanft und behutsam, aber als ich meine Arme
um seinen Hals schlang und mich an ihn schmiegte,
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