Gier
gerne«, antwortete er und erwiderte das Lächeln ungebührlich breit.
Sie betrachtete ihn eine Weile, dann sagte sie: »Ich muss jetzt zurück ins Geschäft. Aber Sie haben ja bestimmt auch etwas zu tun. Ich bin übrigens von einem Typen, den ich neulich traf, in eine Diskussion über die Polizeiarbeit in den verschiedensten Ländern verwickelt worden. Bei dieser Gelegenheit habe ich ihm erzählt, dass Europol eine operative Einheit besitzt.«
»Obwohl wir sie gar nicht haben«, merkte Kowalewski an und fühlte sich glücklich. »Was für ein Typ war das, wenn ich fragen darf?«
»Ein Gitarrist in einer Indieband«, antwortete Rowlins. »Ich habe ihn in den ziemlich eintönigen Vierteln um den Times Square herum getroffen. Aber er war nett. Wir haben auch über Nine-Eleven geredet. Er hieà Kyle.«
»Kyle?«
»Wir waren bei ihm zu Hause. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Nachnamen, aber er wohnt in Alphabet City. Nicht weit von der Kreuzung Avenue B und East 6th Street. Ziemlich verwahrlostes Gebäude, mitten in all dem Protz. Ich glaube, es war East 6th. Aber jetzt muss ich los. Hier ist meine Visitenkarte. Ich habe um neunzehn Uhr Feierabend. Holen Sie mich ab?«
Dann war sie weg.
Marek Kowalewski betrachtete die Visitenkarte. Es schien in der Tat eine exklusive Kleiderboutique zu sein. Sie lag in der Pearl Street. AuÃer dem Firmennamen stand darauf: »Hannah Rowlins, Business Manager«.
Er atmete aus und sank etwas in sich zusammen. Lächelte. Stand auf und streckte sich. Lieà den Blick über die Church Street und das Baugelände wandern, auf dem einmal zwei der höchsten Gebäude der Welt gestanden hatten.
Das Labyrinth aus Sonnenlicht war verschwunden. Das gesamte Gebiet des Ground Zero wurde von einem klaren homogenen Sommerlicht beschienen. Die graue Wolkendecke war wie weggeblasen.
Marek Kowalewski lächelte unglaublich breit.
Das Leben ist doch gar nicht so verkehrt, dachte er. Dann dachte er weiter:
Alphabet City.
Und machte sich auf den Weg.
4 â Rufe
Sarcophagus Maconiana Severiana
London, 11. April
Eigentlich war jetzt überhaupt keine Zeit dafür, aber er brauchte es einfach. Die Musik kam gewissermaÃen vom äuÃersten Ende des Universums und bahnte sich ihren Weg in sein Inneres, als wäre er für einen kurzen Augenblick der Fixpunkt der Galaxie. Einige einfache rhythmische Figuren erhöhten fünfzehn Minuten lang stetig ihre Intensität, um schlieÃlich in einer eigentümlich reinen Schönheit aufzugehen. Als empfingen seine Kopfhörer eine unwiderrufliche Wahrheit aus der Unendlichkeit des Ãthers, als erschiene die immer komplizierter werdende Welt plötzlich selbstverständlich. Und lieÃe sich dennoch unmöglich auf andere Art als mit Musik beschreiben.
Er spürte ihre Blicke, doch er hielt die Augen geschlossen und lieà sich in diesen zwanzig Minuten nicht stören. Es war ein reines Aufladen seiner Batterien. Anstelle von Schlaf.
Er hörte die beiden Teile von Premonition , der letzten CD des Esbjörn-Svensson-Trios Leucocyte. Premonition â Vorwarnung, Vorzeichen, Vorgefühl, Vorahnung.
Lag nicht in allen diesen merkwürdigen Fällen, mit denen sie sich auseinandersetzten, eine Art Vorzeichen? Lief Paul Hjelm nicht die ganze Zeit mit einem Gefühl der Vorahnung herum? Einer Vorwarnung für die Zukunft?
Die Musik rief in ihm viele Erinnerungen wach. Obwohl Esbjörn Svensson ein paar Monate nach dem Einspielen der CD gestorben war, war Premonition für ihn nicht in erster Linie eine Erinnerung an die absurde Zerbrechlichkeit des Lebens, sondern eher an die Kräfte, die diese Musik freisetzte, die ungeahnten Möglichkeiten. An ein Leben, in dem es gelingen konnte, dem Dunklen ins Auge zu schauen und dennoch weiterzumachen. Daran, dass wir trotz allem gemeinsam GroÃes vollbringen können und vielleicht sogar die immer weiter um sich greifende Unmenschlichkeit aufzuhalten vermögen. Daran, dass das Menschliche in einer nahezu übernatürlichen Weise überlebt und am Ende stärker ist als alles Böse.
Paul Hjelm klickte die iPod-Funktion in seinem iPhone weg und schaltete den Offline-Modus wieder ab. Drei entgangene Anrufe innerhalb von dreiundzwanzig Minuten. Ein Abbild seines Lebens. Doch er schaffte es noch nicht, sofort darauf zu reagieren. Er nahm die Kopfhörer ab und begegnete Corine
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