Gier
als Kellnerin und wohnte zu Hause bei ihren Eltern in der Innenstadt von Krakau.
Er fand sie in einem Café, und sie machte einen ziemlich erschrockenen Eindruck. Während eines kurzen Augenblicks kehrte sein Interesse an ihr zurück â wer war sie eigentlich? Warum benutzte sie ein Pseudonym, wenn sie sich mit Männern traf? Doch dann erinnerte er sich an seinen Auftrag. Sie hatte im Gegenzug gewisse Schwierigkeiten mit ihrem Erinnerungsvermögen, wusste nicht einmal mehr, dass er Polizist war, und erinnerte sich nur noch äuÃerst vage an die Nacht im Hotel. Aber jetzt, wo er sie endlich leibhaftig vor sich hatte, gab er nicht auf, und schlieÃlich fiel ihr ein, dass sie die Sache einer Freundin erzählt hatte, die an der Universität studierte.
Zu dem Zeitpunkt war es in Krakau noch hell. Kowalewski holte in der ihm eigenen beflissenen Art weitere Informationen ein und erfuhr so, dass die Freundin gerade in einer Vorlesung über Gendertheorie an der Krakauer Universität saÃ. Mithilfe eines alten Fotos, das Mara ihm zugesteckt hatte, um ihn loszuwerden, gelang es ihm, in der aus dem Hörsaal strömenden Menge junger weiblicher Studenten die Freundin zu identifizieren. Er lud sie in die Mensa zum Essen ein, da sie völlig ausgehungert zu sein schien, und sie nahm seine Einladung dankbar an. Sie hatte keinerlei Probleme, sich daran zu erinnern, wem sie von der »operativen Einheit, Europol« berichtet hatte. Während sie in einem herausfordernden Tonfall, einer Mischung aus Teenagertrotz und Genderbewusstsein, von ihrer »wunderbaren Liebhaberin Aniela« erzählte, ertappte sich Kowalewski dabei, über Netzwerke nachzudenken. In welcher Art und Weise sich zwischenmenschliche Kontakte über den Erdball hinweg ausbreiten. Wie unser Bedürfnis danach, gesehen, geliebt, berührt und gemocht zu werden die menschliche Gemeinschaft zu einem enormen, vollkommen unüberschaubaren Netz aus mehr oder weniger verzerrten Informationen verknüpft.
Stille Post.
Obwohl das Sonderbare an dieser Art von Stillen Post war, dass die Informationen niemals verzerrt wurden. Auch diese junge Frau, die mit einem aufrührerischen Leuchten in den Augen gerade die schweinchenrosafarbenen Warzenhöfe der Brüste von Aniela beschrieb, hatte die Formulierung »operative Einheit, Europol« wortgetreu an ihre hochgeschätzte Liebhaberin weitergegeben.
»Aber aus welchem Grund?«, entfuhr es ihm. Noch lange Zeit später würde er sich fragen, wie ihm das passieren konnte. Denn es hatte nicht das Mindeste mit seinem Interesse an Informationen zu tun.
»Weil wir bald von allen Seiten überwacht werden«, antwortete Maras Freundin und leckte ihren Teller aus. »Weil die Frauen dabei sind, die Weltmacht zu übernehmen, und die Männer eine ScheiÃangst davor haben.«
Aniela war überhaupt nicht lesbisch und auch in keiner Weise wunderbar. Während die Abenddämmerung des Apriltages langsam einsetzte, suchte er sie in ihrem Reihenhaus in einem Vorort auf, wo sie von vier Kleinkindern umgeben war, die sich gegenseitig in ihrer Schmuddeligkeit zu übertreffen versuchten. Ihr Mann war nach eigener Aussage unterwegs beim »Wettsaufen«, während sie selbst nur für ein paar Stunden in der Woche das Haus verlassen konnte. Während dieser Stunden »genoss sie das Leben in vollen Zügen«, und auch wenn sie sich nicht mehr genau an Maras Freundin erinnerte und lediglich wusste, dass es sich »um eine merkwürdige Studentin, die für Sex bezahlt hat« handelte, hatte sie die Information an sich jedoch noch deutlich im Kopf. Aniela bevorzugte nämlich Männer, genauer gesagt Männer mit Geld, und da sie keinen direkten Zugang zu einflussreichen Männern hatte, waren es in der Regel kriminelle Männer, die gerne mit Geld um sich warfen. Der äuÃerst maskulin wirkende Kriminelle Radoslaw TrzciÅski, der einen eleganten Schnauzbart trug, hatte sich so lange über die Bullen ausgelassen, dass sie auch gerne etwas dazu beitragen wollte, nicht zuletzt aus dem Grund, damit er »endlich die Klappe hielt und mich fickte«.
So kam es, dass Marek Kowalewski jetzt in einer Abstellkammer in Swoszowice hockte. Die Wege des Herrn sind unergründlich, dachte er und machte sich auf den Weg.
Der Name an der Tür war absolut unlesbar. Kein einziger Buchstabe war zu entziffern. Das allein schon vermittelte ihm eine
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