Gift
dem Besuch bei den Somolians war es für
Samuel an der Zeit, Paris wieder zu verlassen. Er hatte seinen
Frankreichaufenthalt gut genutzt, denn er war nicht nur mit den
Recherchen für seine Story vorangekommen, sondern hatte auch wichtige
Informationen beschafft, die sich Janak für seine
Verteidigungsstrategie zunutze machen konnte. Lucine hatte sich bereit
erklärt, Samuel am Tag vor seinem Rückflug in einem Café am Bucci-Markt
zu treffen, um die letzten noch offenen Fragen zu klären.
Mit seinem zerknitterten Sportsakko, einem Madrashemd und dem
roten Wollschal war Samuel nicht gerade optimal für den rauen Pariser
Winter ausgerüstet. Erstaunlicherweise hatte er sich jedoch nicht
erkältet. Diesen Umstand führte er auf Mr. Songs geheimnisvolle
chinesische Heilkräuter zurück, die er nahm, ohne lange Fragen zu
stellen, zumal er wusste, dass der alte Chinese sie ihm ohnehin nicht
beantwortet hätte.
Er saß an einem Fenstertisch des Café Palate, trank seinen
Café Américain und las in der Herald Tribune , als Lucine hereinkam. Sie legte ihren schwarzen Wollmantel
mit der pelzbesetzten Kapuze ab und steckte ihre Lederhandschuhe in die
Manteltaschen. Samuel deutete auf den freien Platz ihm gegenüber und
winkte dem Kellner.
Es dauerte eine Zeitlang, bis der junge Mann mit gelangweiltem
Blick an ihren Tisch kam. Lucine bestellte einen Milchkaffee und ein
Croissant.
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für alles danken soll,
Lucine«, sagte Samuel. »Sie haben mir und Janak wirklich sehr geholfen.«
»Das ist doch selbstverständlich. Allerdings müssen Sie mir
noch Ihre Adresse geben, damit ich Ihnen schreiben kann, falls ich noch
mehr herausfinde.«
Samuel schrieb seine Adresse und Telefonnummer auf eine Seite
seines Notizbuchs, riss sie heraus und reichte sie ihr.
»Zuerst werde ich nach der Geburtsurkunde des Kurden suchen«,
sagte Lucine. »Falls er in Frankreich geboren wurde, ist er hier in
Paris im Geburtenregister eingetragen.«
»Würden Sie mir eine Kopie der Geburtsurkunde schicken, falls
Sie sie tatsächlich finden?« Samuel war bewusst, dass er viel von ihr
verlangte.
»Selbstverständlich. Ich kann mir vorstellen, dass Sie die bei
einem Prozess gut gebrauchen können.«
»Und könnten Sie Hector dazu überreden, Ihnen seinen richtigen
Namen zu nennen?«, fragte Samuel.
»Ich denke schon. Allerdings muss ich ihn davon überzeugen,
dass nach so langer Zeit ganz sicher niemand mehr nach ihm sucht. Sein
Aufenthaltsort muss aber trotzdem unbedingt geheim bleiben. Wenn Sie
dagegen nur seinen Namen erwähnen, wird kein Mensch wissen, ob er noch
am Leben oder schon tot ist. In Anbetracht der Umstände, unter denen
sie ihn damals haben liegen lassen, käme bestimmt niemand auf die Idee,
dass er noch am Leben ist und erzählen könnte, was mit ihm passiert
ist.«
»Tatsache ist jedenfalls, dass es Leute gibt, die diesem Mann
schwere Verletzungen beigebracht und andere ermordet haben. Können Sie
mir also umgehend Bescheid sagen, wenn Sie mehr über Freunde und Feinde
der Hagopians herausfinden?«
Während sie dann schweigend dasaßen und ihren Kaffee tranken,
wurde ihnen beiden klar, wie rasch sie sich in den wenigen Tagen von
Samuels Parisaufenthalt nähergekommen waren.
»Müssen wir noch einmal darüber sprechen, was Sie Janak über
mich erzählen werden?«, fragte Lucine und schaute Samuel forschend in
die Augen.
»Ich glaube nicht. Wie bereits gesagt, ich stehe zu meinem
Wort. Ich werde ihm alles so übermitteln, wie Sie mich gebeten haben.
Falls Sie mir allerdings irgendwelche neuen Informationen schicken,
muss ich ihm natürlich erzählen, woher ich sie habe.«
»Deswegen mache ich mir keine Sorgen. Ich will nur nicht, dass
Janak zu viel über mich weiß. Ich bin mir über meine Gefühle für ihn
noch nicht im Klaren. Eine Weile dachte ich, ich würde ihn hassen, aber
inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Jedenfalls bin ich
immer noch nicht in der Lage, über dieses Thema zu sprechen, Samuel.«
»Wenn Sie meine Meinung dazu hören wollen, Lucine, so kann ich
Ihnen versichern, dass Janak ständig an Sie denkt.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte sie mit einer gewissen Härte
in ihren braunen Augen.
7 EIN
WINK AUS CHINATOWN
W ährend Samuel in Paris war, bereitete sich
Janak Marachak auf den Prozess vor. Zusammen mit Bartholomew Asquith
saß er tagelang in der Bibliothek der Kanzlei und studierte immer
wieder die Fotos vom Leichenfundort und die
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