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Gift

Gift

Titel: Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gordon
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Gaskammer
gehabt. Aber nicht umsonst hieß es bei der Staatsanwaltschaft, der eine
Verurteilung wichtiger war als die Gerechtigkeit: Einen Unschuldigen zu
verurteilen ist wesentlich schwieriger als einen Schuldigen. Seine
nächsten Verwünschungen galten dem Kurden. Als er sich schließlich
seinen aufgestauten Zorn von der Seele geflucht hatte, besann er sich
wieder. In einem Beruf wie diesem musste man nun einmal Geduld,
Durchhaltevermögen und Nerven wie Drahtseile haben.
    Miguel und José Ramos, die nicht beim Prozess
anwesend waren, gelten weiterhin als Verdächtige. Das soll vorerst auch
so bleiben, denn vielleicht ergibt sich ja noch etwas.
    Samuels Berichterstattung über den Prozess
hatte sowohl bei seiner Zeitung als auch bei der chinesischen Presse
regen Anklang gefunden und seinen Ruf als ›Spürhund‹, wie ihn seine
Freunde zu nennen begonnen hatten, bestätigt. Sein Chefredakteur
gratulierte ihm zu diesem Erfolg, doch als ihn Samuel um eine
Gehaltserhöhung bat, sagte er nur, er werde darüber nachdenken. Eine
Woche später dachte er immer noch darüber nach. Ungeachtet des Erfolgs
seiner Story waren Samuels Zweifel jedoch keineswegs zur Gänze
ausgeräumt. Und wie immer, wenn ihm etwas keine Ruhe ließ, machte er
sich auf den Weg ins Camelot, um dort Rat zu suchen.
    Melbas Husten war so schlimm geworden, dass sie inzwischen
immer eine Sauerstoffflasche neben sich stehen hatte. Trotzdem kam sie,
sooft es ihr möglich war, in die Bar, und auch an diesem Abend saß sie
mit Excalibur an dem runden Tisch am Eingang. Der kleine Hund geriet
bei Samuels Anblick außer sich vor Freude und vollführte immer wieder
seine Choreographie aus wilden Sprüngen und Sich-auf-dem-Boden-Wälzen,
bevor er an den Schnürsenkeln des Reporters zu kauen begann. Samuel
kratzte Excalibur an seinem einzigen Ohr und steckte ihm den
Leckerbissen zu, den er ihm bei jedem seiner Besuche im Camelot
mitbrachte. Der kleine Hund hätte ihm nie verziehen, wenn er mit leeren
Händen in der Bar erschienen wäre.
    Melba begrüßte ihn mit einem Kopfnicken. Sie drückte ihre
Zigarette im Aschenbecher aus und hielt sich den Schlauch der
Sauerstoffflasche, die neben ihrem Stuhl stand, an die Nase. Die Wirtin
war wesentlich blasser als beim letzten Mal. Sie hatte Ringe unter
ihren rotgeäderten Augen, und ihr blaugraues Haar saß wie ein
zerknautschtest Garnknäuel auf ihrem Kopf. Um ihren Husten zu
beruhigen, trank sie immer wieder kleine Schlucke Bier. Samuel war so
sehr mit dem Prozess und seinen Artikeln beschäftigt gewesen, dass er
sein Versprechen, sie zu Mr. Song mitzunehmen, noch nicht hatte
einlösen können. Als er sie jedoch jetzt in diesem desolaten Zustand
sah, nahm er sich fest vor, die Sache nicht mehr länger aufzuschieben.
Seine Freundin konnte nur noch im Flüsterton sprechen und wurde immer
wieder von heftigen Hustenanfällen geschüttelt.
    »Du hörst dich an, als würdest du jeden Moment den Löffel
abgeben, Melba! Morgen gehen wir zu Mr. Song.«
    »Von einem bisschen Räuspern ist noch keiner gestorben«,
entgegnete Melba mit leiser, brüchiger Stimme. »Und außerdem: Unkraut
vergeht nicht.«
    »Welkes Unkraut schon.«
    »Danke für das Kompliment, Samuel. Aber lassen wir das. Du
hast wieder mal hervorragende Arbeit geleistet. Ist dieser Marachak der
Anwalt, den du mir neulich vorgestellt hast? Dieser Kerl, der auf
Chemieunfälle spezialisiert ist?«
    »Ja, aber er ist kein Strafverteidiger.«
    »Vielleicht sollte er auf Strafsachen umsteigen, nachdem er
diese Mexikaner so geschickt herausgehauen hat.«
    »Hat dir Blanche von meinen Zweifeln bezüglich desFalls
erzählt? Wir haben nämlich erst letzte Woche ausführlich darüber
gesprochen. Wirklich schade, dass du nicht hier warst, Melba, denn du
hättest mir sicher helfen können, etwas Klarheit in die Sache zu
bringen.«
    »In deinem Artikel war aber von irgendwelchen Zweifeln nichts
zu spüren.«
    »Ich bin Reporter, Melba. Ich versuche, objektiv zu sein. Und
deshalb wollte ich keine Vorurteile gegen Janak und seine Mandanten
wecken, obwohl die Beweise gegen die Angeklagten geradezu erdrückend
waren. Wir waren alle überrascht von dem Spruch der Geschworenen, Janak
eingeschlossen.«
    »Geschworene sind unberechenbar, Samuel.«
    »Das sagt Janak auch immer. Man kann nie wissen, wie sie
entscheiden. Aber ist es angesichts solcher Umstände nicht völlig
unmöglich, Vertrauen in unser Rechtssystem zu haben? Ich finde es
schrecklich, dass das Leben der Angeklagten von

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