Gift
etwas so
Unvorhersehbarem abhing wie dem glücklichen Zufall, dass der Hauptzeuge
der Anklage Geld aus der Cafeteria gestohlen hat.«
»Denkst du immer noch, diese armen Teufel könnten Hagopian
doch ermordet haben?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«
»Was willst du eigentlich? Janak hat den Prozess gewonnen, und
die Mexikaner können nicht mehr belangt werden. Punkt.«
»Es freut mich natürlich, dass sie freigesprochen wurden. Aber
da sind noch die Verfahren gegen Miguel und José Ramos, zwei andere
Deponiearbeiter. Und sie werden wahrscheinlich nicht so viel Glück
haben wie Narcio Padia und Juan Ramos. Sie halten sich zwar zurzeit in
Mexiko auf und müssten schön blöd sein, wenn sie noch einmal hierher
zurückkämen, aber man kann nie wissen.«
»Ich wiederhole meine Frage, Samuel. Glaubst du wirklich, die
Mexikaner könnten diesen brutalen Mord begangen haben?«
»Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass meine Zweifel
tatsächlich nicht vollständig ausgeräumt sind, Melba. Es ist nicht
auszuschließen, dass sie den Mord aus Rache begangen haben.«
»Würdest du endlich mal aufhören, solchen Unsinn zu reden,
Samuel?«
»Als ich mit Janak in San Quentin war, haben ihn plötzlich
massive Zweifel zu plagen begonnen, ob er für so einen Prozess
überhaupt der richtige Mann wäre. Und jetzt entpuppe ich mich als der
große Zweifler.«
»Ich habe hier im Camelot einige der besten Strafverteidiger
von San Francisco kennengelernt, und weißt du, was mir in den
Gesprächen mit ihnen klargeworden ist? Für diese Männer spielt es nie
eine Rolle, ob ein Mandant schuldig oder unschuldig ist, für sie zählt
nur, ob sie ihn freibekommen. Auf diese Weise können sie vom nächsten
Mandanten ein höheres Honorar einstreichen. Deshalb hör auf, dich mit
deinen Zweifeln herumzuquälen, Samuel, das ist reine Zeitverschwendung.«
»Janak ist fest davon überzeugt, dass sie unschuldig sind, und
wird deshalb nötigenfalls auch José und Miguel Ramos verteidigen.«
»Umsonst?«
»Ja, umsonst.«
»Dein Freund ist zu gut für diese Welt.«
»Genau deswegen ist er ja mein Freund, Melba. Er ist ein prima
Kerl. Wie Blanche ganz richtig gesagt hat: Er sieht zwar aus wie ein
Boxer, aber er ist eine Seele von einem Menschen.«
»Dann sieh mal zu, dass du ihn wieder mit diesem Mädchen in
Paris zusammenbringst, in das er verliebt ist«, murmelte Melba und
inhalierte aus ihrer Sauerstoffflasche.
»Woher weißt du von diesem Mädchen?«
»Mein lieber Samuel, eine Bar ist wie ein Schönheitssalon. Da
gibt es keine Geheimnisse.«
Samuel holte den Brief heraus, den er am Morgen aus Paris
bekommen hatte, und reichte ihn Melba, die sich inzwischen eine
Zigarette angezündet hatte.
»Was ist das?«
Samuel erzählte ihr von seiner Parisreise und dass er Lucine
gebeten hatte, Erkundigungen über die Person einzuziehen, die sich
inzwischen als Hauptzeuge der Anklage entpuppt hatte, Nashwan Asad Aram
alias El Turco . »Das ist der Kerl, der den Blinden in der Cafeteria bestohlen
hat«, fügte er hinzu.
»Und was steht in dem Brief?«
»Dass er tot ist.«
»Tot? Wurde er auch ermordet?«
»Nein. Es gibt eine Geburtsurkunde mit seinem Namen, und drei
Jahre später wurde auf dieselbe Person ein Totenschein ausgestellt.
Verstehst du das?«
»Das kann nur heißen, der Zeuge der Anklage hat die Identität
von jemandem angenommen, der längst tot ist«, sagte Melba.
»Ganz so hört es sich jedenfalls an. Aber das ist noch nicht
alles. Lucine schreibt auch, dass Hagopian, der Deponiebesitzer, zwei
Frauen hatte. Die erste lebt in Paris. Als Lucine sie aufsuchte,
erzählte sie ihr, sie hätte ihn verlassen, weil er sie schlug. Bei den
Ermittlungen ist das nie zur Sprache gekommen.«
»Und hier in Kalifornien hatte Hagopian auch eine Frau?«
»Ja, ich habe zwar mit ihr und Hagopians Schwester gesprochen,
aber sie haben mir kein Wort davon erzählt.«
»Warum sollten sie auch? So etwas wird in den meisten Familien
gern unter den Teppich gekehrt. Wo ist seine zweite Frau jetzt?«
»Keine Ahnung. Zum Prozess ist sie jedenfalls nicht
erschienen.«
»Hat der Staatsanwalt sie denn nicht aufgerufen?«
»Nein.«
»Das heißt, sie hat etwas zu verbergen. Du musst unbedingt
herausfinden, was das ist, Samuel.« Melba zog abwechselnd an der
Zigarette und an der Sauerstoffflasche. Samuel kraulte Excalibur am
Kopf und schaute sich unauffällig nach Blanche um. Sie war jedoch
nirgendwo zu entdecken.
»Worauf wartest du noch? Sieh
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