Gifthauch
Toreanno. Sie schien sich ziellos von der Leiche wegzubewegen; auf ihrem Gesicht stand der Schock geschrieben.
Mary eilte zu ihr und berührte sie am Arm. »Agent Toreanno? Simona?«
Toreanno drehte sich um. Sie war Mitte dreißig, recht jung für eine FBI-Agentin, und hatte dunkles, lockiges Haar, das sie schulterlang trug, ein ovales Gesicht mit großen, mandelförmigen braunen Augen, langen schwarzen Wimpern, und ihr voller Mund war rubinrot geschminkt. Ihr standen Tränen in den Augen.
»Was ist?«
Mary hob die Hände. »Ich habe keine Kamera und keinen Rekorder, Simona. Ich nehme nichts auf. Es ist ganz inoffiziell. Wer ist Frank McMillan?«
Toreanno blinzelte und schüttelte den Kopf. Sie schien die Menge mit größerer Aufmerksamkeit zu betrachten und suchte nach jemandem.
»Wer ist Frank McMillan, Simona? Wer war er?«
»FBI«, wisperte Simona. »Einer von uns.«
37
13.35 Uhr
Jill Church stand im Korridor vor Rebecca Harringtons Schlafzimmer und beobachtete den Spurensicherer der Ferndaler Polizei bei der Arbeit. Sie war nicht gerade gut gelaunt. Die Spurensicherungsspezialistin des FBI, die sie angefordert hatte, war noch nicht eingetroffen. Den Tatort zu kontrollieren – was Stillwater vorgeschlagen hatte –, war gar nicht so einfach. Der Fall fiel nicht in die Zuständigkeit des FBI, doch sie konnte immerhin anführen – und hatte angeführt-, dass sie durch den Zusammenhang mit den beiden Terroranschlägen sehr wohl dafür zuständig sei. Das Problem war nur, dass sie keine Bestätigung von offizieller Seite erhalten würde. An wen sollte sie die Ferndaler Polizei verweisen? An Matt Gray?
»Etwas Interessantes?«, fragte sie den Spurensicherer, einen Latino, der aussah wie zwanzig. Er war ihr als Officer Gomez vorgestellt worden. Er trug eine marineblaue Windjacke, eine ausgebleichte Jeans und Wanderschuhe. Auf der Nase hockte eine Nickelbrille, und auf seinem Scheitel saß stachliges schwarzes Haar wie eine Hecke.
»Zum Beispiel?«, fragte er zurück. Mit einer Pinzette kroch er am Boden umher.
»Greifbare Beweise«, entgegnete Jill. »Einen Hinweis darauf, wer das getan haben kann.« Ihr Geld setzte sie auf den Ex-Mann Bill Harrington.
»Sie haben doch den geschiedenen Mann erwähnt, oder?«, vergewisserte sich Gomez. Er sah zu ihr hoch. Seine Brille reflektierte das Licht.
»Ja.«
Detective Bezinski, der neben Jill stand, sagte: »Lassen Sie sich nicht ablenken, Joe. Achten Sie nur auf die Spuren.«
»Wo wohnt der Ex-Mann?«, wollte Gomez wissen.
»Birmingham«, antwortete Jill.
Bezinski verdrehte die Augen. »Herrje! Hören Sie, Agent Church, immer nur einen Fall auf einmal, okay? Sonst braucht Joe einen Durchsuchungsbeschluss für das Haus des Ex-Mannes und untersucht das auch und verbringt den Rest des Tages damit, seine Fusselsammlung unter die Lupe zu nehmen, um den Ex mit diesem Tatort in Verbindung zu bringen.«
»Was wäre daran falsch?«
»Nichts. Aber wir müssen als Erstes diesen Tatort bearbeiten. Also tun wir's.«
»Wir sind doch dabei«, sagte Jill entnervt. Allmählich begriff sie, weshalb Stillwater so ungeduldig war. Mit dem Verhüten von Verbrechen verbrachten Beamte der Mordkommission nicht viel Zeit. Sie wurden hinzugezogen, wenn schon jemand tot war, und versuchten nicht nur methodisch, den Fall zu lösen, sondern auch eine Beweislage zu schaffen, die vor Gericht Bestand hatte. Solange sie es nicht mit einem Serienmörder zu tun hatten oder mit jemandem, der bereit war, aus dem Land zu fliehen, konnten sie sich Zeit lassen.
Wenn aber jemand wie die Schlange drohte, alle vier Stunden eine Menschenansammlung zu töten, hatte man keine Zeit zu verschwenden.
»Ich werde mich noch etwas umsehen«, verkündete Jill.
»He, kontaminieren Sie mir bloß nichts!«, rief Gomez.
Nun war es an Jill, die Augen zu verdrehen. Sie sah ins nächste Zimmer. Es war als Gästezimmer eingerichtet: ein breites Bett mit einer blau-kastanienbraun karierten Tagesdecke, eine leere Kommode mit ein paar Nippsachen darauf und nicht viel mehr. An zwei Wänden hingen die Art Gemälde, die man bei Straßenkünstlern kaufte und nach Fläche bezahlte. Sie waren nicht schlecht, aber ihnen fehlte jener Funke, der sie bemerkenswert gemacht hätte. Das eine war eine Seenlandschaft, das andere zeigte ein Birkenwäldchen an einem winterlichen Fluss.
Jill schaute in den Wandschrank und fand mehrere Kleider, die längst außer Mode waren, einige Kopfkissen und gefaltete Decken. Wie sie
Weitere Kostenlose Bücher