Giftkuss
Magen rumorte es und fast wäre sie wieder umgekehrt.
Wer sagte ihr denn, dass Anja sich über die Neuigkeiten freuen würde? Vielleicht hasste sie sie ja dafür, dass sie sich jetzt mit Cleo anfreundete? Nein, Anja nicht. Sie war keine von denen. Anja war nie eifersüchtig, sie war gut, konnte sich über alles und mit jedem freuen.
Sie mochte mich und Cleo hat sie geliebt. Sie hätte nichts dagegen, wenn wir Freundinnen wären. Sie nicht.
Katharina zog Anja aus der Dunkelheit und öffnete den Reißverschluss. Dann strömten die Worte in einem einzigen großen Schwall aus ihr heraus.
»Hallo, Anja. Ich bin’s wieder. Es ist so schade, dass du nicht mehr da bist. Heute ist so viel passiert. Weißt du, ich habe Cleo näher kennengelernt, deine Freundin. Sie ist sehr nett, fast so wie du, ich mag sie und sie mich auch, glaube ich. Ist das nicht schön? Ich hatte erst Sorge, dass sie was wusste, sie hat nämlich bei mir angerufen und wollte sich mit mir treffen. Aber du hast ihr nichts erzählt. Da war ich so froh, wirklich. Ich hatte schon Gift eingesteckt vor lauter Angst. Womöglich hätte sie sterben müssen. Nicht auszudenken. Aber jetzt musst du dir keine Sorgen mehr machen, ich bleibe an ihrer Seite. Ich hoffe nur, dass sie dein Tagebuch nicht findet, weißt du, das suchen wir nämlich alle. Wo hast du das nur hingelegt?«
Katharina schwieg und schaute den reglosen Körper an, als erwarte sie tatsächlich eine Antwort. Dann holte sie sich eine kleine Trittleiter und setzte sich darauf.
»Stell dir vor, Cleo hat mir geholfen, meinen Vater zu überführen. Ich habe es mir nämlich anders überlegt und werde ihn nicht umbringen. Er wird ins Gefängnis kommen für seine Bosheiten. Ist das nicht eine gute Idee? Ich werde ihn besuchen und ihm meine ganze Wut ins Gesicht schreien, bis er sich bei mir entschuldigt und bei meiner Mutter und bei Laura und dir, dieses Schwein!«
Katharina erschrak über ihre eigene Lautstärke. Sie atmete tief durch. Immer wieder brachte dieser Kerl sie in Rage. Um der aufkeimenden Wut keine Chance zu geben, plapperte sie einfach weiter, ohne nachzudenken.
»Es ist nicht schlimm, dass du nicht antwortest. Ich weiß, dass du mir zuhörst. Laura hört mir auch immer zu, wenn ich mit ihr spreche. Und Mama auch. Ich bin es gewohnt, keine Antworten zu bekommen, es macht mir nichts aus, wirklich.«
Plitsch… Plitsch.
Ein leises Geräusch lenkte sie ab. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Katharina merkte, dass es ihre Tränen waren, die auf Anjas Unterarm tropften. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Augen trocken und richtete sich wieder auf.
»’tschuldigung, ich bin so durcheinander. Weißt du, es ist alles so neu und so viel. Ich wollte doch nur… Ich wollte einfach nur frei sein, frei von ihm, von der Vergangenheit, von meinem Leben… Und jetzt liegst du hier…«
Ihr Weinen war nicht mehr aufzuhalten. Sie erhob sich und blickte auf Anja hinab. Die Tränen trafen nun Anjas Oberkörper und das wollte sie nicht.
Reiß dich zusammen, Katharina!
Vorsichtig trocknete sie mit ihrem Lappen die Tränen ab und zwang sich, ruhig zu atmen und den Weinkrampf zu stoppen. Sie war heute so gut drauf gewesen und jetzt das. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
»Ich muss gehen, Anja. Wahrscheinlich sehe ich dich nicht wieder. Du merkst ja…« Ihre Stimme wurde immer leiser. »… ich kann das nicht. Vielleicht wird er genau in dieser Minute abgeführt. Ist das nicht wunderbar? Es wäre so schön, wenn du das alles mit uns teilen könntest, so schön.«
16. Kapitel
»Schatz, es ist jetzt 7 Uhr. Wie geht es dir?«
Cleo hörte die Stimme ihrer Mutter und hätte sie am liebsten gleich wieder weggeschickt. Doch dazu hätte sie etwas sagen müssen, was sie gerade einfach nicht konnte.
Ihre Eltern hatten sich gestern natürlich schreckliche Sorgen gemacht. Zwei Stunden waren sie bereits zu Hause gewesen, als Cleo schließlich gekommen war. Sie hatten von Anjas Tod erfahren und Cleo nicht erreicht. Mama war durch die Hölle gegangen, das hatte Cleo an ihren roten Augen gesehen. Aber sie waren nicht sauer, hatten ihr keine Vorwürfe gemacht, sondern sie einfach nur in die Arme genommen und ihre Hilfe angeboten. Ob sie wegfahren wollte für ein paar Tage, um Abstand zu gewinnen, hatte Papa gefragt, und was sie tun könnten. Doch Cleo wollte nichts, nur allein in ihrem Zimmer sein, was sie ihr ohne Meckern zugestanden hatten.
»Hast du denn wenigstens ein bisschen geschlafen?« Ihre
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