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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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Reinstetter
jedoch hat nichts von sich hören lassen. Als die Krankenschwester bei ihm nach
dem Rechten sehen wollte, lag er schon tot im Bett.«
    »Und wieso hän Sie dann bei de Leiche’schau ang’kreuzt, dass die
Todesursach unklar war?«
    »Wir hatten ja in Reinstetters Badezimmer bemerkt, dass auch er
heftige Magen-Darm-Beschwerden gehabt haben musste. Ich erspare Ihnen die
Details.«
    »Redet Sie nu’, wenn’s Ihne’ hilft«, brummte Winterhalter.
    »Jedenfalls schien ein Zusammenhang mit den Beschwerden der anderen
Patienten durchaus möglich. Ich habe es als meine Pflicht angesehen, so zu
handeln. Erst neulich habe ich in einer Fachzeitschrift gelesen, dass manche
Kollegen vorschnell eine natürliche Todesursache bei Patienten annehmen. Wir
sind schließlich eine Klinik mit hohem ethischem Anspruch. Wenn ich aus dem
jüngsten Ethikvortrag von Professor Krieg zitieren darf: ›Ethik ist kein Luxus,
sondern unabdingbarer Bestandteil der Tannenklinik. Ethik ist darüber hinaus …‹«
    Brav auswendig gelernt, dachte Winterhalter und widmete sich seinen
Gedanken. Den Sympathiepunkt, den der Arzt wegen des Ankreuzens der »unklaren
Todesursache« eingeheimst hatte, war durch diese Plattitüden schon wieder verspielt.
Er überlegte: Reinstetter hatte von derselben Suppe und eine ähnliche Menge wie
die anderen vergifteten Patienten gegessen – zumindest war das die Auskunft der
Küche gewesen. Am Ende hatte er aber eine um ein Vielfaches schlimmere
Vergiftung gehabt, was sich nicht einmal annähernd durch seinen geschwächten
Zustand erklären ließ. Also musste die zusätzliche Dosis Amanitin zwischen der
Zubereitung in der Küche und dem Servieren in Reinstetters Zimmer ins Essen
gelangt sein. Vorausgesetzt, man hatte ihm das zusätzliche Gift nicht noch auf
anderem Wege verabreicht.
    »Die Pilzsupp gab’s jo zum Mittagesse. Wisset Sie, wer alles Zugang
zum Teller vum Dietrich Reinschtetter g’habt habe könnt?«
    »Oje«, seufzte Hilbert, dem nicht entgangen war, dass Winterhalter
einen Teil des Ethikvortrags ignoriert hatte. »Die Mahlzeiten werden
denjenigen, die nicht im Speisesaal essen, ja aufs Zimmer gebracht. Dabei
stehen sie in einem Rollwagen, in den auch die Portionen der anderen
bettlägerigen Patienten geschoben werden. Da hätte praktisch jeder Zugriff,
zumal der Wagen ja auch unbeaufsichtigt ist, bevor die Tabletts serviert
werden.«
    Dann fügte er noch hinzu: »Mit so etwas kann man ja nicht rechnen.«
Eventuell wollte dieser Polizist der Klinik wieder irgendein Versäumnis
vorwerfen.
    Gelegenheit für Winterhalter, zum Angriff überzugehen, auch wenn es
sich dabei eigentlich nur um eine Routinefrage handelte: »Herr Doktor Hilbert,
wo waret Sie denn zwischen de Zubereitung vum Mittagessen und dem Einsammeln vu
de Teller?«
    »Ich? Ich … habe doch selbst gegessen … Aber etwas anderes, keine
Pilze … Und zwar in meinem Büro.«
    »Habet Sie Zeuge, die des bestätige könne?«
    »Nein. Ich … also, warum?« Der Assistent schien ehrlich verzweifelt.
Winterhalter grinste in sich hinein. Diese Ärzte! Der Einzige dieser
Berufsgruppe, den er akzeptierte, war der Tierarzt bei ihm im Dorf. Der fühlte
sich in seinem Stall so wohl wie in seiner Praxis. Dieser Hilbert hingegen war
das schiere Gegenteil. Hinter dem Standesdünkel verbarg sich die Unsicherheit
eines Menschen, der ohne seinen weißen Kittel wahrscheinlich schon beim
Lebensmitteleinkauf überfordert war.
    »Keine Zeuge’«, wiederholte Winterhalter und setzte noch einen
drauf. »Do werdet mir uns wohl no mol unterhalte müsse.«
    Das Gespräch zwischen Thomsen und Professor Krieg verlief
freundlicher und hatte auch mehr den Charakter einer Befragung denn eines
Verhörs. Eine große Hilfe war Krieg jedoch nicht, er wahrte völlig die
Contenance und ließ sich nicht in die Karten blicken. Bestimmt war er aber
insgeheim beruhigt: Die Tatsache, dass der Patient Reinstetter und nicht die
Klinik als solche ins Zentrum der Ermittlungen rückte, kam ihm vermutlich ganz
gelegen.
    Andererseits blieb die Frage, ob nicht doch ein Mitverschulden der
Klinik durch eine fahrlässige Vergiftung angenommen werden konnte. Und die
Frage, was es mit dem ominösen Auto der Fernblickklinik auf sich hatte, das die
Zeugen in der Nähe der Küche gesehen hatten.
    Aufmerksam schaute sich Thomsen wieder im Chefarztbüro um. Die
Urkunden, der Bilderrahmen, von dem er nur die Rückseite sehen konnte, der
Schreibtisch selbst – alles war blitzblank poliert

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