Giftpilz
verlassen hatte, um perplex
nach Hause zu fahren. »Sie können uns jetzt das Fleisch bringen.«
Er prostete an ebenjenem Platz, wo das Ehepaar Hummel gerade noch
gesessen hatte, einer jungen Frau zu. »Das ist doch insgesamt gar nicht so
schlecht gelaufen.«
Die junge Frau nickte – und die Sommersprossen auf ihrer Stupsnase
leuchteten vor boshaftem Vergnügen. »Ich schwöre dir, diese Carolin wird meinen
Vater nicht bekommen«, sagte sie.
»Auf das baldige Ende der Beziehung zwischen Huby und Carolin«,
lautete Riesles Trinkspruch.
»Auf die Ehe meiner Eltern«, entgegnete Martina.
26. DER OBDUKTIONSBERICHT
Der Obduktionsbericht war die spannendste Morgenlektüre für
Kriminalhauptkommissar Winterhalter. Die gefaxten Blätter mit dem Absender
»Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Abteilung Gerichtsmedizin« waren ihm
schon beim Hereinkommen auf Thomsens Schreibtisch aufgefallen. Er hatte sie
gleich an sich genommen. Winterhalter war nun mal »wunderfitzig«, wie seine
Großmutter immer gesagt hatte (»Wunderfitz hät d’Nase g’spitzt«). Und auch wenn
der Bericht außer an die Staatsanwaltschaft nur noch an Thomsen adressiert war,
konnte der Neugierige einfach nicht widerstehen.
Sein Vorteil war, dass sein Chef noch nicht im Büro war. Er hatte
angerufen und verkündet, dass er noch mal beim Einbruchsdezernat vorbeischaue
(»In der Sache Riesle muss endlich etwas passieren!«). Nach Winterhalters
Meinung litt sein Kollege schlicht an Verfolgungswahn.
Winterhalter und Thomsen waren in den letzten Tagen meist die ersten
Kriminalisten im Haus gewesen. Der Nebenerwerbslandwirt hatte seinen
Dienstbeginn seit jeher auf sieben Uhr justiert. Bis dahin war er stets schon
zwei Stunden auf den Beinen: Kühe, Schweine, Frühstück, Dusche (optional),
Fahrt nach Villingen lauteten seine Stationen.
In Thomsen war ihm nun eine echte Frühaufsteherkonkurrenz erwachsen.
Immer noch hatte der Chef Probleme mit der Akklimatisierung an seine neue
Wohnung, kroch meist schon vor fünf Uhr dreißig aus seinem Bett, glättete das
Laken sorgfältig und duschte dann ausgiebig. Wirklich über dienstliche Belange
nachdenken konnte er während der fünfundvierzigminütigen Reinigung kaum. Immer
wieder schaute er durch den Duschvorhang in Richtung der schemenhaft zu
sehenden Toilette. Grauenvoll, sich vorzustellen, dass dieser Riesle hier
gesessen haben mochte. Mindestens so sehr störte Thomsen auch, dass er immer
noch im Dunkeln darüber tappte, was der Journalist gestohlen hatte. Und warum?
In der Nacht hatte er sogar mit einer Auflistung seines gesamten Hab und Gutes
erfolglos versucht, Licht in den Fall zu bringen. Von A wie Ananas (Stückchen
in Dose) bis Z wie Zahnpflegeset (a: Zahnbürste 1 x grün, gebraucht – 1 x gelb,
verpackt, b: Zahnpasta 1 x gebraucht, 1 x neu 250 ml, c: Munddusche, neu). Zu
seinem Leidwesen war das Gedankenprotokoll wieder vollständig gewesen.
Dass der Obduktionsbericht eingetroffen war, hatte
Winterhalter Thomsen am Telefon lieber verschwiegen. Ohnehin hätte der Chef ihm
den Bericht erst mal vorenthalten und sich später vermutlich nur häppchenweise
die Informationen aus der Nase ziehen lassen.
Dass Dietrich Reinstetter an Amanitin – dem Gift des Knollenblätterpilzes – gestorben war, wie der Obduktionsbericht preisgab, war für Winterhalter keine
Überraschung. Der Patient war ja aufgrund seiner Erkrankung in einem körperlich
derart schlechten Zustand gewesen, dass die Vermutung nahelag, die
Pilzvergiftung habe ihm den Rest gegeben, während die anderen Patienten die
Folgen der Pilzsuppe so viel besser weggesteckt hatten.
Umso mehr überraschte ihn ein anderes Ergebnis: Die Giftkonzentration
in Reinstetters Körper war etwa sechsmal höher als bei den anderen Patienten!
Als Thomsen im Büro eintraf, machte er keinen guten Eindruck.
Er war übernächtigt, und sein Gesicht wies eine ungesunde, leicht rötliche
Färbung auf. Die Tatsache, dass ihn die Kollegen von der Kriminalinspektion 2
nochmals aufgefordert hatten, seine Anzeige gegen den Journalisten
zurückzuziehen (»Herr Thomsen, das führt doch zu nichts. Die Sache wird eh
eingestellt. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis …«), trug nicht
gerade zu seinem Wohlbefinden bei. Er hatte sich erneut geweigert. Am liebsten
hätte er jetzt alleine vor sich hingegrübelt, doch stattdessen musste er sich
das Büro mit diesem Landwirtschaftskriminalisten teilen, der am frühen Morgen
nach Kuhmist roch, weil er
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