Giftspur
Pigmentstörung, wie sie nicht selten waren.
Berndt hatte einen überdimensional großen Laptop aufgebaut, an dessen seitlichen Anschlüssen diverse Zusatzgeräte hingen. Eine ergonomische Maus, eine externe Festplatte, zwei Sticks und ein Netzteil, dessen LED grün leuchtete. Ein Dateiverzeichnis, dessen Explorerfenster zwei Drittel der Anzeige füllte, beinhaltete Dutzende Aufnahmen der einzelnen Textfragmente des anonymen Schreibens.
In einer angenehm klaren Stimme und mit akzentfreiem Hochdeutsch, was in dieser Region nicht unbedingt Standard war, führte Berndt die Anwesenden durch seine bisherigen Erkenntnisse. Es ging um die Textbausteine, deren sich der Verfasser des Briefes bedient hatte. Neben den beiden Kommissaren befand sich auch Konrad Möbs im Raum, dem die Meldung einer möglichen Erpressung in Verbindung mit vergifteten Lebensmitteln fast einen Herzinfarkt beschert hatte. Angersbach hatte ihn daher flugs am Arm gepackt und vor einem Fenster plaziert, welches er eilig aufriss. Nur langsam war der Dienststellenleiter wieder zur Ruhe gekommen, und seine Gesichtsfarbe würde womöglich noch Stunden brauchen, um sich gänzlich zu regenerieren. In Gedanken hatte Angersbach durchgespielt, ob ein plötzlicher Herztod seines Vorgesetzten dem ominösen Erpresser als fahrlässige Tötung angelastet werden könne. So morbide es auch war, aber der Kommissar vermochte solch düstere Gedanken nicht zu ignorieren, wie sie ihm zuweilen in den Sinn kamen. Doch zum Glück kam Möbs mit seinen Nerven wieder ins Reine, nachdem er ausreichend Sauerstoff getankt hatte. Ralph drückte das Fenster wieder zu. Es wäre ein Jammer, wenn Möbs, gerade einen stressbedingten Infarkt umschifft, kurz darauf in seinen Armen erfrieren würde.
So viel zum Thema Fahrlässigkeit.
So viel zum Thema Morbidität.
Wolfram Berndt räusperte sich und fuhr fort:
»Das Wortfragment PARA wurde aus einem Stück geschnitten«, erläuterte er und rief zu der erwähnten Buchstabenfolge das entsprechende Foto auf. Nach einigen Sekunden klickte er weiter.
»Ebenso befand sich das Fragezeichen, das hinter WAHRHEIT steht, auch in der Vorlage hinter dem Wort. Das Ausrufezeichen am Schluss des Textes hingegen wurde separat hinzugefügt. Dafür ist die letzte Zeile wieder ein einziger Papierstreifen, die Schriftgröße lässt vermuten, dass es aus dem Fernsehprogramm stammt.«
»›E-Mail für Dich‹«, murmelte Angersbach. »Ja, den Film kenne ich.«
Sabine Kaufmann konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen bei der Vorstellung, wie ihr bärbeißiger Kollege im Angesicht von Meg Ryan und Tom Hanks eine Träne verdrückte. Andererseits hatte er sich ihr ja am Vorabend auch von einer anderen Seite gezeigt … Alle weiteren Gedanken allerdings erstarben in der sonoren Stimme des Forensikers.
» MILLIONEN EURO ist grammatikalisch falsch, wenn es sich nur auf eine Million bezieht.«
»Ist uns auch schon aufgefallen«, bestätigte Angersbach.
»Die beiden Worte allerdings gehören zusammen. Sieht mir nach einer dieser plakativen Überschriften aus wie ›Dieser Fußballspieler wechselt für 15 Millionen Euro‹. Wenn Sie mich fragen, sollte ein Fußballer nur dort spielen dürfen, wo er seinen Lebensmittelpunkt hat«, schweifte Berndt mürrisch ab, »aber das wird wohl nie passieren. Unser Paracelsus scheint dagegen recht genügsam zu sein. Nur eine Million, wobei der Betrieb sicher weitaus solventer sein dürfte. Außerdem sind zwei Leute schon über den Jordan gegangen.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Nein, ich weiß nicht, das passt alles nicht so recht zusammen.«
»So weit waren wir auch schon«, murmelte Angersbach.
»Können Sie anhand der Wortschnipsel auf bestimmte Zeitschriften rückschließen?«, wollte Sabine wissen.
»Oje, die Standardfrage«, stöhnte Berndt augenrollend. »Sie verzeihen mir, wenn ich ein wenig pathetisch antworte? Geben Sie mir eine Hundertschaft Beamter und sämtliche in Hessen erhältliche Printmedien der vergangenen sechs Wochen. Dann beantworte ich Ihre Frage gerne mit Ja. Aber auf einen Zeitraum lege ich mich nicht fest.«
Sabine biss sich auf die Unterlippe. »Zusammengefasst war das also ein Nein?«
»Ja.«
»Was ist mit der IP -Adresse und der Registrierung der Mail-Adresse?«
»Zweimal niente, bedaure. Die E-Mail wurde auf einen Phantasienamen angelegt. Das geht leider noch immer, und man muss dazu kein Profi sein. Eingeloggt hat sich der Typ über einen WLAN -Hotspot in der Stadt.«
»
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