Giftspur
wir bis dahin etwas, kann es sich nicht um die Finke handeln. Anschließend lassen wir sie frei und observieren sie. Wenn dann etwas von Paracelsus kommt, wissen wir, ob sie nun dahintersteckt oder nicht.«
Konrad Möbs hatte den Raum kurz verlassen, um zu telefonieren. Seinem Gesichtsausdruck nach musste das Ende der Welt unmittelbar bevorstehen, was Sabine Kaufmann nach einem prüfenden Blick nach draußen ausschloss; der Innenhof lag nach wie vor friedlich im Schein der Sonne. Die Uhrzeit abschätzend, drängte sich eine näherliegende Erklärung für seine Zerknirschtheit auf.
»Schulte.« Möbs stieß den Namen des Häuptlings hervor, bestätigte damit Sabines Schlussfolgerung und ließ die Kommissare aufhorchen. Wie hatte ihr aller Chef reagiert? Offensichtlich nicht mit einem Freudentanz, denn das würde in Möbs’ Gebaren wohl anders aussehen. »Wir sollen die Finke freilassen.«
»Wir?«
Angersbach hob ungläubig die Augenbrauen.
»Schulte wird nicht selber herübergefahren kommen«, erwiderte Möbs gereizt.
»Prima. Wenn’s nach uns ginge, hätten wir Frau Finke zu Hause vernommen, anstatt sie gleich einzubuchten.«
Angersbach hatte recht, deshalb fand Sabine es gut, wie er Möbs die Stirn bot. Sie selbst schwieg allerdings, es mussten nicht beide auf dem Dienststellenleiter herumhacken.
»Hatten wir ja ohnehin vor«, warf sie daher diplomatisch ein. »Warten wir noch, ob eine weitere Mail eintrudelt, oder machen wir’s gleich?«
Angersbach sah auf die Uhr. Seit dem letzten Kontakt waren Stunden vergangen, und es hatte sich keiner der auf dem Weidenhof befindlichen Kollegen gemeldet.
»Lassen wir sie gehen und observieren sie, wie geplant«, schlug er vor, und die Kommissarin nickte.
Als Vera Finke ins Freie trat, hielt sie sich die Hand vor die zusammengekniffenen Augen. Die Nachmittagssonne knallte ihr ins Gesicht, gleißend verlieh sie den kahlen Betonmauern des Gebäudes ein goldenes Kleid. Sie verharrte kurz, um ihren leichten Mantel zu richten, und schlug sich ein Tuch um den Hals. Ihr Atem kondensierte zu dichten, sich nur träge verflüchtigenden Wolken. In der Rechten erglomm das Display ihres Smartphones, welches sie abgeschaltet hatte, als sie es den Beamten hatte aushändigen müssen.
Schlimm genug, dass sie unsere Privatsphäre derart rabiat verletzt haben,
dachte sie grimmig. Sie hatte das Telefon absichtlich ausgeschaltet. Ohne die Eingabe der PIN war es niemandem möglich, einen Blick auf die Inhalte des Telefons zu werfen.
Wäre ja noch schöner, wenn jeder schmierige Bulle sich meine Fotos ansehen könnte. Oder meine Mails lesen.
Auf dem Bildschirm, der eine matte Schutzfolie trug, erschien ein grüner Roboter, das Logo des Betriebssystems. Sekunden später baute sich der Hauptbildschirm auf, es folgte das Einloggen ins Mobilfunknetz und der Aufbau einer Datenverbindung. Vera schaute abwechselnd auf das Display und den unter ihren Schuhen knirschenden Rollsplitt, der großzügig auf dem Asphalt verstreut lag.
Ob wir noch mal Schnee bekommen?
So viele andere Dinge auch wichtiger erschienen, ihre Gedanken machten die wildesten Sprünge.
Vera tippte die Nummer eines Bad Vilbeler Taxiunternehmens ein, deren einprägsame Ziffernfolge sie im Gedächtnis hatte. Sie habe Glück, hieß es dort, ein Fahrer sei nur fünf Minuten entfernt.
Oh, ich Glückspilz!,
dachte sie bitter und trabte ohne Eile in Richtung Straße.
Ein kurzes Vibrieren ließ Vera innehalten. Eine SMS .
Doch es war nur die Mailbox, die darüber informierte, dass es drei Anrufe in Abwesenheit gegeben hatte. Zwei davon gingen auf das Konto von Anselm, und der Zeitstempel ließ darauf schließen, dass er sie kurz nach der Verhaftung getätigt hatte.
Vera tippte auf das Symbol neben der Nummer und wartete, bis das Freizeichen erklang.
»Bist du frei?« Anselm schien neben dem Telefon gewacht zu haben, denn er nahm nach dem ersten Klingeln ab.
»Ja, eben gerade.«
»Soll ich dich holen?«
»Habe ein Taxi geordert«, lehnte sie ab,
ich habe nicht die geringste Lust, mich in dein Tretmobil zu zwängen.
»Die Bullen sind bei mir gewesen«, eröffnete Anselm, und Vera horchte auf.
»Ach. Und?«
»Ich soll mir überlegen, was ich aussagen möchte.«
»Verstehe ich nicht.«
Wir sind hier doch nicht bei
Wünsch dir was.
Anselm ließ mit der Erklärung nicht lang auf sich warten. »Diese Kaufmann hat mir ins Gewissen geredet. Ich muss dich nicht belasten, darf dich aber nicht entlasten, wenn’s nicht
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