Giftspur
der Wahrheit entspricht. Unser Anwalt meint, sie hat mich dazu nötigen wollen, mich selbst zu belasten.«
»Wieso denn das?«
»Weil ich genau wie du ein Motiv gehabt hätte, und das weißt du auch.«
»Wegen der alten Geschichte mit Ulf etwa?«, fragte Vera und blieb stehen.
»Nein. Weil du mit Reitmeyer einen
Bastard
gezeugt hast«, zischte Anselm so scharf durch den Lautsprecher, dass seine Frau erschrocken zusammenfuhr. Verdammt, das konnte – das
durfte
– er nicht wissen!
»Aber …«
»Kein Aber! Sieh zu, dass du nach Hause kommst, wir haben einiges zu bereden.« Abrupt legte er auf und ließ seine Frau verstört auf dem Parkplatz zurück. Veras Schläfen pochten schmerzhaft. Eine neue Krise mit Anselm war das Letzte, was sie noch gebrauchen konnte.
Sie scrollte weiter und las den Hinweis, dass sich auf der Mailbox eine hinterlassene Sprachnachricht befand. Da von dem Taxi noch nichts zu sehen war, hob Vera das Telefon erneut ans Ohr.
Die Nummer des Anrufers war unterdrückt, was ihre Spannung verstärkte. Außer ihrem Mann, einigen wenigen Freunden und natürlich Ulf hatte niemand Veras Handynummer.
»Ja, hier ist Claudia Reitmeyer.« Vera schauderte, was nicht nur auf die unerwartete Anruferin zurückging, sondern vor allem auf deren unterkühlte Stimmlage. Ausgerechnet
die.
»Melden Sie sich bitte umgehend bei mir. Danke.« Ein kurzes Knistern, und schon erklang die Frage der Computerfrau, ob die Nachricht gelöscht oder gespeichert werden solle. Im Vergleich zu Claudia klang die leidenschaftslose, blecherne Stimme beinahe schon warm und herzlich. Vera entschied sich, ohne darüber nachdenken zu müssen, für Löschen.
Noch immer kein Taxi. Sie überlegte kurz. Claudias Nachricht lag bereits zwei Stunden zurück, lange genug, um nicht wie auf Kommando zurückzurufen. Sie suchte die im Telefonbuch mit Ulfs Foto gekennzeichnete Nummer des Weidenhofs und tippte darauf.
Claudia meldete sich und klang auch live kaum lebensfroher als auf der Mailbox.
»Sie wollten mich sprechen?«
»Vor zwei Stunden«, kam es vorwurfsvoll zurück. »Wo sind Sie?«
»Der Laden ist versiegelt, es gibt nichts zu tun«, erwiderte Vera gelassen. »Oder darf ich etwa wieder rein?«
Von ihrer Verhaftung, über die Claudia offenbar nicht informiert war, brauchte diese nichts zu erfahren.
»Nein. Aber einfach fernzubleiben ist, genau betrachtet, ein Abmahnungsgrund.«
Fährst du jetzt tatsächlich
diese
Tour?
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
Wenn es hart auf hart käme, würde der Anwalt alle entsprechenden Formalien bereithalten, um einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung die Stirn zu bieten. Aber selbst wenn nicht, konnte es Vera im Grunde egal sein. Sie hatte, und auch das würde Claudia erst in letzter Minute erfahren, nicht das geringste Interesse, sich weiterhin auf dem Weidenhof zu verdingen.
Wutschnaubend ließ Claudia Reitmeyer derweil ihren Frust ab und verlangte, dass Vera ihre Arbeitszeit in der Nähe des Ladens abzufristen hatte. Für den Fall, dass es etwas zu tun gäbe.
»Heute noch?«, fragte diese gleichgültig.
»Hm, nein. Aber morgen früh erwarte ich …«
»Meinetwegen.« Mit diesem Ausdruck totaler Gelassenheit, der Vera trotz gesträubter Nackenhaare glaubhaft über die Lippen kam, unterbrach sie ihre spürbar wutschäumende Gesprächspartnerin. Chefin.
Königin.
Nein. Vera Finke würde niemals Ulfs Tochter akzeptieren, sosehr sie ihn auch einmal geliebt hatte. Genauso wenig, wie diese sie hatte akzeptieren können.
Lächelnd stieg sie in das endlich eingetroffene Taxi ein, teilte dem Fahrer ihre Adresse mit und lehnte sich zurück.
Sie öffnete den Internetbrowser und loggte sich in ihren E-Mail-Account ein.
Ein dunkler Wagen, der fünfzig Meter entfernt geparkt hatte, setzte sich in Bewegung und folgte dem Taxi unauffällig.
In der Dienststelle hatte sich das Treffen mit Wolfram Berndt längst aufgelöst. Der Forensiker hatte den Auftrag bekommen, so viel wie möglich über den Ursprung der Papierfragmente in Erfahrung zu bringen. Teams der Spurensicherung waren unterwegs zu nahezu jedem Beteiligten der bisherigen Ermittlung, sogar, darauf hatte Schulte ausdrücklich bestanden, zu den beiden Bio-Höfen und zu Frau Ruppert, der Zeugin, die Ulf Reitmeyer tot aufgefunden hatte. Nachdem Möbs die telefonische Anweisung aus Friedberg widerspruchslos zur Kenntnis genommen hatte, knurrte er nur: »Das wird wohl die teuerste Ermittlung, die Bad Vilbel jemals erlebt
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