Giftspur
Finkes stand den beiden die Unlust ins Gesicht geschrieben. Rumpelstilzchen würde vermutlich fauchend und stampfend über das Parkett fegen, und nur die anatomischen Grenzen und sein Selbsterhaltungstrieb würden ihn daran hindern, sich am Bein zu packen und entzweizuteilen.
Doch es kam ganz anders.
Anselm Finke, eine ohnehin schon hagere Gestalt, trat ihnen vollkommen stoisch gegenüber. Ob er ausgelaugt und entkräftet oder einfach nur kaltherzig und gleichgültig war, wusste Sabine auf den ersten Blick nicht zu beurteilen. Viel zu oft hatte sie in ihrer Laufbahn vermeintlich gebrochene Seelen erlebt, hinter deren Fassade sich pure Kaltblütigkeit verbarg. Sie würde die Körpersprache des Mannes, dessen Frau vor einigen Stunden verhaftet worden war, sehr genau beobachten.
»Kommen Sie mich jetzt auch holen?«, fragte er trocken, als er vor ihnen her in Richtung seines Büros trottete.
»Nein«, erwiderte Angersbach, obgleich die Frage zweifelsohne rhetorisch gewesen war.
»Ich werde dennoch meinen Anwalt anrufen. Er dürfte mittlerweile bei Vera sein, also nur wenige Fahrminuten entfernt.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Sabine nach einem vergewissernden Blickwechsel mit Ralph. »Wir möchten lediglich …«
Anselm Finke blieb abrupt stehen und fuhr herum. »Sie möchten mich in die Enge treiben? Mich verhören ohne Rechtsbeistand?«, ereiferte er sich. Seine Augen blitzten auf. »Oder wollen Sie mich einschüchtern, indem Sie mich mürbemachen? Hat sich bei der Gestapo oder in Guantánamo ja stets bewährt, wie?«
Er zog ein Stofftaschentuch aus der Tasche und tupfte sich den Speichel aus den Mundwinkeln. Ein glänzender Schweißfilm überzog seine Stirn, über den er ebenfalls hinwegwischte.
Etwas verunsichert von diesem plötzlichen Ausbruch, murmelte Sabine: »Wenn Sie mich meinen Satz vollenden lassen würden, wir möchten Ihnen Gelegenheit geben, sich zu den Anschuldigungen zu äußern.«
»Und das ist weitaus mehr, als es für die Inhaftierten
damals
oder in Guantánamo jemals gab«, kommentierte Angersbach, sichtlich verärgert über das, was Finke im Zorn vom Stapel gelassen hatte.
»Wir werden sehen«, knurrte Rumpelstilzchen, dessen Mimik tatsächlich etwas Beängstigendes haben konnte, und schlurfte weiter.
Der Arbeitsplatz wurde von hellem Naturholz dominiert, und das Sonnenlicht verlieh dem Raum einen goldenen Glanz. Die großzügig dimensionierten Glasflächen des Zimmers, das mehr an einen Wintergarten als ein Ingenieursbüro erinnerte, hatten eine Außenreinigung allerdings bitter nötig. Ein klobiges Aluminiumgehäuse mit dem Apple-Logo darauf dominierte auf einer überbreiten und ungewohnt hoch angebrachten Arbeitsplatte. Davor befand sich eine sonderbare Sitzkonstruktion, die sich beim zweiten Blick als Stehstuhl entpuppte. Ein Feigenbaum reckte seine Zweige der sonnigen Glasfront entgegen.
»Exquisite Einrichtung«, lächelte Sabine. Es war als
Icebreaker
gedacht gewesen, eine kleine, unverfängliche Randbemerkung, die dem Gesprächspartner das Gefühl von Wertschätzung gab. Doch dieser Versuch scheiterte prompt, als Anselm sich liederlich in einen wippenden Lehnstuhl sinken ließ und entgegnete: »Für einen Öko wie mich? Macht uns das gleich noch verdächtiger?«
»Nun machen Sie mal ’nen Punkt«, murrte Angersbach unwirsch, doch Sabine gab ihm sofort zu verstehen, dass er nicht für sie in die Bresche springen musste.
»Herr Finke, ich sag’s ganz ehrlich, die Verhaftung war aufgrund gewisser Faktoren unvermeidbar. Warum machen wir nicht das Beste daraus, und Sie erzählen uns Ihre Sicht der Dinge?«
»Sie wollen, dass ich meine Frau belaste? Das muss ich nicht.«
»Sie müssen niemanden belasten, schon gar nicht sich selbst. Aber alles, was der Wahrheitsfindung dient …«
»Schon gut. Sparen wir uns die Floskeln.«
Suchend wanderten Sabines Blicke umher, sie machte einen stoffbezogenen Hocker aus, der sich unter einem Beistelltisch befand. Angersbach lehnte sich derweil ans Stehpult.
»Fühlen Sie sich einfach wie zu Hause«, kommentierte Finke sarkastisch. Sabine zog sich den Hocker herbei und nahm darauf Platz. Wie ein Kleinkind fühlte sie sich,
verdammt, einen ganzen Kopf kürzer als mein Gegenüber.
Aber vielleicht gab diese devote Haltung ihm ja Selbstsicherheit.
Noch mehr davon.
Doch genau jene Sicherheit war es, die im Laufe der Kriminalgeschichte selbst die gewieftesten Täter zu Fall gebracht hatte. Serienmörder, die Trophäen ihrer Opfer horteten.
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