Giftspur
mehr schnarren. Mit zusammengekniffenen Augen erblickte sie auf halbem Weg zwischen der Bundesstraße und ihrer Position im Widerschein der Blaulichtblitze zwei Uniformierte, die Victor Elsass in Gewahrsam nahmen. Er schien unverletzt und leistete keinen Widerstand.
Ein wildes Knacken drang zu ihr herauf, welches sich zu lautstark berstendem Geäst steigerte, begleitet von einem finsteren Fluch. Sabine beugte sich nach vorn, der Schneise, die das Motorrad in das Dickicht geschlagen hatte, folgend. Sie traute ihren Augen kaum. Ralph Angersbach lag auf dem Rücken, seltsam verbogen und strampelnd wie ein Hirschkäfer, der verzweifelt versuchte, zurück auf die Füße zu gelangen. Eine zwei Meter lange Schlammspur, die zu seiner Position führte, enthüllte, dass er den Halt verloren hatte.
»Verdammter Mist«, ächzte er, als er seine Kollegin erblickte, die sich trotz aller Besorgnis und Anspannung ein Grinsen verkneifen musste. Ralph Angersbach, der robuste Naturbursche, der Outdoor-Freak. Es musste ihm gleich doppelt bitter aufstoßen, zuerst versackte er mit dem Lada im Acker und dann
das
; auch noch vor den Augen der piekfeinen Stadtkommissarin.
»Sind Sie verletzt?«, fragte sie sorgenvoll und suchte das Geäst nach einer Möglichkeit ab, um sich festzuhalten.
»Nur ein paar Kratzer«, stieß er hervor. »Verdammte Dornen. Was ist mit Elsass?«
Aus seinem blätterbedeckten Graben heraus hatte Angersbach nicht sehen können, was sich fünfundzwanzig Meter von ihm entfernt abspielte.
»Sie haben ihn«, antwortete sie nur und begab sich mit Bedacht auf den Weg nach unten.
Auf dem Weidenhof aktualisierte Claudia Reitmeyer mit manischem Blick ihren Posteingang. Es war das fünfzehnte, vielleicht auch zwanzigste Mal innerhalb der vergangenen Stunden. Seit sie die Meldung erhalten hatte, dass die Übergabe ohne polizeilichen Zugriff vonstattengegangen war, hatte Claudia sich keine drei Meter von ihrem Notebook entfernt. Mit ihr im Raum, weitaus entspannter, befand sich Gunnar Volz. Er war wie üblich mit einem Strickpullover und einer fleckigen Cargohose bekleidet, aus der die gelben Stiefel stachen. Mit einer teuren Porzellantasse in der Rechten, deren elegante Form in der grobschlächtigen Pranke vollkommen versank, fläzte er sich auf dem Sofa.
»Warum grinst du so?«, zischte Claudia übellaunig.
»Du rennst hier herum wie ein aufgescheuchtes Huhn. Entspann dich mal.«
Claudia lachte zynisch. »Entspannen? Wie könnte ich das denn?«
Der Knecht stellte seine Tasse auf den Tisch und knackte mit den Knöcheln seiner Finger.
»Das Geld ist angekommen, die Bullen haben ihn nicht erwischt. Damit ist die Sache für uns erledigt. Worauf wartest du noch? Soll er ein Dankeskärtchen schicken?«
Claudia raufte sich die Haare und zupfte ihr Oberteil zurecht, denn sie fühlte sich erneut von den Blicken ihres widerlichen Besuchers ausgezogen. Sie überlegte kurz, ob sie einen Cardigan überziehen sollte, konnte sich jedoch nicht überwinden, den Laptop aus den Augen zu lassen.
»Er könnte doch schreiben, dass nun niemand mehr stirbt«, wisperte sie mit einer fahrigen Handbewegung und schniefte. Claudia hatte kaum geschlafen, sie war Dr. Brüning und der Geldtasche nicht von der Seite gewichen. Der unnahbare Anwalt gab ihr einen gewissen Halt, denn er versuchte im Gegensatz zu den Kriminalbeamten nicht, sie zu manipulieren. Zudem hatte sie nur hierdurch sichergehen können, dass nicht doch irgendwelche elektronischen Helferlein in die Tasche gepackt wurden. Dies hatte sie den Ermittlern mit allem notwendigen Nachdruck untersagt und darauf gedrängt, dass Brüning eine entsprechende rechtsverbindliche Erklärung aufsetzte, die sie sich gegenzeichnen lassen wollte. Doch das schien nicht realistisch, wie Brüning ihr zu erklären versuchte, und infolgedessen hatte Claudia die Tasche mit derselben Insistenz bewacht wie eine Bache ihre Frischlinge.
Den Gedanken, dass sie den Mörder ihres Vaters bezahlte, versuchte sie dabei, so gut es ging, zu unterdrücken. Doch auf Dauer ließ sich dieser Zwiespalt nicht leugnen. Morgen früh würde, wenn Brüning seine Beziehungen in die oberen Etagen der hessischen Justiz ausreichend hatte spielenlassen, Ulf Reitmeyers Leichnam ins Krematorium gefahren werden. Für Montag schließlich war geplant, seine Urne im Friedwald, einige Handbreit neben der Ruhestätte ihrer Mutter, beizusetzen.
Nur vier Tage,
dachte Claudia panisch, als ihr durch den Kopf ging, was bis dahin noch
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