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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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kreiert, würde nicht derart kopflos handeln. Anscheinend kam Angersbach derselbe Gedanke, denn er fragte:
    »Warum sind Sie geflohen, wenn Sie unschuldig sind?« Sabine nickte eifrig. Ein guter Einwand, den sie selbst längst hatte anbringen wollen. Elsass’ Erklärung klang plausibel:
    »Ich hatte Angst, dass genau
das hier
passiert.« Er deutete kreisend im Raum umher. »Verhaftet aufgrund falscher Anschuldigungen. Die Justiz ist ja, wie man sieht, nicht unfehlbar.«
    Sabine fragte sich, ob Dr. Brüning ihm diese Reaktion eingebleut hatte. Resigniert schüttelte sie den Kopf. So kamen sie nicht weiter. Dann klopfte es an der Tür, und vor dem schmalen Fenster zeichnete sich wie aufs Stichwort das Gesicht des Anwalts ab.
    Damit war das Verhör vorläufig beendet.
    Doch in dem Airbus A 340 – 600 , der gegen einundzwanzig Uhr den Frankfurter Flughafen verlassen sollte, würde an diesem Abend einer der dreihundertachtzig Sitzplätze frei bleiben.
     
    »Was halten Sie von der ganzen Sache?«, erkundigte Angersbach sich, nachdem die beiden Kommissare genügend Abstand zwischen sich, den Verhörraum und Dr. Brüning gebracht hatten.
    »Sie hätten mir die Infos bezüglich der Drogen vorher geben müssen«, brummte sie zunächst vorwurfsvoll, und er räusperte sich schuldbewusst.
    »Sorry. Aber Mirco kam auf den letzten Drücker. Das ist einfach dumm gelaufen.«
    »Schon vergessen, zumindest fast«, zwinkerte sie ihm zu. »Aber um auf Elsass zurückzukommen: Ich traue dem Mann nicht. Er gibt für uns den perfekten Tatverdächtigen ab, alles scheint zu stimmen, und er weiß auf alles eine schlaue Antwort.« Sie entließ einen tiefen Seufzer in die Freiheit. »Genau da liegt aber mein Problem.«
    »Worin?« Angersbach hing zu sehr seinen eigenen Gedanken nach, um der kryptischen Kombinatorik seiner Kollegin mit voller Aufmerksamkeit folgen zu können.
    »Kennen Sie sich aus in griechischer Mythologie?«
    »Hm. Wollen Sie etwa aus Homers Odyssee zitieren?« Angersbach grinste schief. Gänzlich daneben würde Sabine Kaufmann mit einem solchen Vergleich nicht liegen.
    »Nein«, lächelte sie zurück, »und ich dachte auch nicht an Sisyphusarbeit. Ich spreche von dem Ariadnefaden.«
    Angersbach grub in seinem Gedächtnis. Er entsann sich einer griechischen Prinzessin, die ihrem Geliebten, als er im Labyrinth gegen den Minotaurus kämpfen wollte, einen roten Faden mitgab, damit er sich auf dem Rückweg nicht verirrte.
    »Ariadnefaden«, wiederholte er langsam, »ich verstehe. Sie halten es also für wahrscheinlich, dass jemand gezielt eine Spur in Victor Elsass’ Richtung gelegt hat.«
    »Ich halte es zumindest für möglich.«
    »Auch wenn er es uns da drinnen als Ausrede präsentiert hat?«
    »Warum sollte er nicht ebenfalls kombinieren dürfen?«, gab Sabine zurück. »Er verteidigt sich selbst. Jedes andere Handeln wäre unlogisch.«
    »Er könnte gestehen«, beharrte Angersbach mit verschmitzter Miene.
    »Nicht, wenn er von seiner Unschuld überzeugt ist.«
    Die beiden verließen das Gebäude und stiegen in den engen, blitzsauberen Renault, was dem Kommissar eine gequälte Miene entlockte. Seine Schulter schmerzte, als er sich auf den Rücksitz zwängte, und er dachte daran, dass sein geliebter Niva zwanzig Zentimeter tief in einem matschigen Acker festgefahren war. Ein Bild entstand vor seinem inneren Auge, eine Erinnerung aus längst vergangenen Kindertagen, die plötzlich so klar wurde, als hätte sie sich erst gestern abgespielt. Er sah einen alten Fendt-Traktor, kabinenlos, in ausgeblichenem, rostfleckigem Grasgrün, der mit seinen dünnen Reifen inmitten eines Feldes stak. Der Regen und das durchnässte Erdreich hatten ihn im Laufe von Tagen stetig weiter sinken lassen, die immerhin brusthohe Felge des linken Hinterreifens war bis zur Achse im Lehm versunken, und jeder Tag brachte weitere Zentimeter. Das Zeitfenster, um das Fahrzeug freizubekommen, war eng. Kaum dass der Regen nachließ, würde das Erdreich eine tonartige Masse bilden, die nach und nach hart wie Beton werden würde. Sollte das geschehen, würde das Fahrzeug für immer dort stecken, fester als die gebrannte Gussform von Schillers Glocke. Im strömenden Regen, so sagte man, hatte es zwei große Zugmaschinen benötigt, um den kleinen Traktor freizubekommen. Angersbach hatte es nicht miterlebt, konnte sich aber gut vorstellen, wie es seinem Lada ergehen mochte. Er warf einen Blick auf das Handy. Ein Streifenbeamter hatte ihm zugesichert, sich der

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