Giftspur
Angersbach. »Sonst hätte er ihm das Gift kaum unbemerkt zuspielen können.«
»Dann spinnen wir das mal weiter«, sagte Sabine. »Trauen Sie seiner Tochter oder Vera Finke so etwas zu?«
»Eher nicht«, widersprach der Kommissar. »Die beiden kannten zwar seine Vorlieben und meinetwegen auch seine gesundheitliche Verfassung, aber das dürften viele andere auch getan haben. Praktisch jeder, der ihn in seinem Büro besucht hat. Denn dort steht das Schälchen mit den Knabbereien, und an der Wand hängen Marathon-Fotos.«
»Elsass ist am Samstag dort gewesen«, warf Sabine ein, »aber sicher nicht als Einziger. Außerdem braucht es ja laut Hack weniger biologische als vielmehr medizinische Kenntnisse.«
»Scheiße!« Angersbach schlug sich gegen die Stirn. Erst jetzt fügte sich ein längst verdrängtes Detail in das Puzzle. »Rahnenfeldt! Der Typ hatte eine Motorradmontur in der Garderobe hängen.«
»Wie bitte?«, herrschte Sabine ihn an.
»Sorry, das hatte ich überhaupt nicht mehr auf dem Schirm«, rechtfertigte sich ihr Kollege, »es spielte damals keine Rolle …«
»Jetzt aber schon. Wir fahren sofort hin. Setzen Sie die Chefs ins Bild?«
»Aye, aye«, murrte Angersbach wie ein geprügelter Hund.
Als der Renault sich surrend dem Haus des Heilpraktikers näherte, waren Sabine Kaufmann längst die ersten Zweifel gekommen. Reiner Rahnenfeldt war ein Mann ohne Feinde, ein Mensch, der offenbar ohne Animositäten lebte. Selbst sein Beruf war heutzutage nichts Extravagantes mehr. Heilpraktiker,
Schamane, Scharlatan.
Doch auch in einer sich aufgeschlossen gebenden Großgemeinde wie Karben mochte es dennoch Misstrauen und Ablehnung gegenüber einem alternativen Mediziner geben, der die renommierten Fußstapfen seines Vaters missachtet hatte. Rahnenfeldt erfreute sich, wenn man den Nachforschungen Mirco Weitzels nachging, allerdings einer florierenden Praxis und regen Zulaufs. All diese Informationen rief die Kommissarin sich ab, ohne bislang den dahinter verborgenen Menschen kennengelernt zu haben. Passte diese Vita zu einem Mann, der zwei Männer vergiftete und eine, von der Lösegeldübergabe einmal abgesehen, recht stümperhaft inszenierte Erpressung abzog? Wohl kaum.
»Handeln wir zu voreilig?«, fragte sie schließlich, als Angersbach sie gerade um die letzte Ecke wies und das Haus bereits in Sicht kam.
»Bis dato sah es eher so aus, als hätten wir etwas versäumt«, brummte dieser, offenbar noch immer davon bedrückt, dass ihm Rahnenfeldts Motorradkleidung nicht schon viel früher eingefallen war.
»Na, wir werden sehen«, seufzte sie. »Fragen kostet ja nichts. Doch je länger ich darüber nachdenke, ich sehe weder ein Motiv noch sonstige Anhaltspunkte.
Sie
kennen den Mann zumindest, wie schätzen Sie das denn ein?«
»Rahnenfeldt wurde belästigt, aber er konnte mir nicht sagen, von wem«, überlegte Angersbach. »Die Mails können sowohl von Ulf als auch von Claudia gewesen sein.«
»Claudia hat zumindest lauthals gegen ihn gewettert«, erinnerte sich Sabine. Aber reichte das? Und wie passte Malte Kötting in dieses Bild? Außerdem hätte Rahnenfeldt den vergifteten Ingwer in Reitmeyers Büro plazieren müssen. Doch wenn er Claudia treffen wollte, warum dann zwei Männer ermorden? Der gordische Knoten in ihrem Kopf saugte jeden klaren Gedanken auf wie ein gefräßiges Ungeheuer, das mit jeder Idee anwuchs. Am liebsten wäre Sabine überhaupt nicht ausgestiegen, denn plötzlich fühlte sie sich so in Zweifeln gefangen, dass sie ihr Urteilsvermögen in Gefahr sah.
»Können Sie vielleicht übernehmen?«, rang sie sich schließlich ab und war erleichtert, dass Angersbach ohne Nachfrage zustimmte. Sie gab sich einen Ruck und stieg aus.
Nieselregen hatte eingesetzt und drückte zusätzlich auf die Stimmung, alles war grau in grau, und es blies ein kalter Wind, der nach Abgasen schmeckte. Nur ein Bruchteil eines Grades schien die feinen, wie Nadeln stechenden Tropfen davon abzuhalten, sich in Eiskörnchen zu verwandeln. Sabine zog einen Schal aus ihrer Tasche und hüllte den Hals darin ein.
Angersbach trat zielstrebig auf die Eingangstür zu und läutete. Es dauerte nicht lang, da öffnete Reiner Rahnenfeldt, dessen Foto sich die Kommissarin zwar betrachtet hatte, der realiter aber ganz anders aussah. Nicht wie ein Heilpraktiker, auch nicht wie ein Arzt, und schon gar nicht wie ein Mörder. Doch sie würde das Bauchgefühl und die analytischen Betrachtungen hintanstellen, sondern nur beobachten
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