Giftspur
Sache anzunehmen und baldmöglichst zu melden. Stunden waren seither vergangen. Apropos. Angersbach wählte die Telefonnummer von zu Hause, wo er jedoch nur das endlose Freizeichen zu hören bekam. Er wollte Janines Handynummer anrufen, als das Smartphone seiner Kollegin piepte.
Sabine Kaufmann hatte den Wagen gerade in Bewegung gesetzt, stoppte abrupt und stellte mit flinken Fingern eine Freisprechverbindung her. Es war Professor Hack, ein unerwarteter Anrufer.
»Die beiden Toten haben meinen Segen«, eröffnete er, »einer Bestattung steht nichts mehr im Weg.«
»Sie haben demnach alles Notwendige durchgeführt«, konstatierte Sabine und bezog sich damit auf die besonderen rechtsmedizinischen Aspekte, die vor einer Einäscherung beachtet werden mussten.
»Aha, da kennt sich jemand aus«, erklang es sarkastisch durch die Lautsprecher. »Möchten Sie alle Einzelheiten dokumentiert haben, oder soll ich gleich zu den Ergebnissen springen.«
»Ich wollte Ihnen doch überhaupt nicht reinreden …«, begann Sabine, sich ein wenig pikiert zu rechtfertigen, doch Angersbach beugte sich nach vorn und rief: »Spucken Sie’s schon aus, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«
»Ist ja schon gut.« Hack murmelte etwas Grimmiges, dann raschelte es im Hintergrund. »Sind Schulte und Möbs in Rufweite?«
»Wir sitzen im Auto«, antwortete Sabine.
»Ach so. Dann spitzen Sie mal Ihre Öhrchen«, säuselte Hackebeil, und die Kommissarin verdrehte seufzend die Augen. »Zerberus«, fuhr der Rechtsmediziner fort.
»Der Höllenhund?«, stieß Angersbach hervor. Waren sie nun von den alten Griechen zu den Römern gewechselt? Oder gehörte Zerberus auch noch zu Homer? Er war sich nicht sicher, fand allerdings auch keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken.
»Der Zerberusbaum oder, besser: die See-Mango«, erklärte Professor Hack. »Das ist unsere Giftpflanze. Ein exotischer Baum, der hauptsächlich an südpazifischen Küsten wächst. Seine Früchte ähneln Miniaturmangos, die Kerne sind furchig und sehen aus wie kleine Kokosnüsse. Wird gerne zum Dekorieren verwendet«, er machte eine theatralische Pause, »und zum Töten.«
»Verdammt«, sagte Sabine, und Angersbach schoss im selben Moment ein Gedanke in den Kopf: »Kann man diese Pflanzen im Gewächshaus ziehen? Wie sehen sie aus?«
»Kennen Sie Kirschlorbeer?«, fragte Hack zurück. »Ledriges Blattwerk, kleine Fruchtbeeren, steht in jedem dritten Vorgarten.«
Angersbach bekam kein Bild und Sabine offenbar auch nicht. Er verneinte.
»Giftig sind die Kerne«, fuhr Hack daraufhin fort, »und diese erhält man für wenig Geld auf legalem Weg. Ich sagte ja bereits, man verwendet sie als Dekomaterial. Für die Verwandlung zur tödlichen Waffe benötigt man lediglich eine Muskatreibe und keinerlei naturwissenschaftlichen Kenntnisse.«
In Angersbachs Kopf machte es
Plopp!.
War damit die Seifenblase, in der sich der Verdacht gegen Dr. Elsass befand, endgültig geplatzt?
»Die Herzglykoside sind schwer nachweisbar, und die statistische Dunkelziffer, wie oft dieses Gift übersehen wird, können wir nicht einmal erahnen«, erläuterte Hack und ergänzte dann hastig: »Womit ich natürlich nicht von Deutschland spreche. In Südostasien ist Zerberus seit Jahrhunderten das am meisten verbreitete Gift. Erstens, weil es dort für jedermann frei zugänglich ist, zweitens, weil ein Herzinfarkt von allen Todesarten die natürlichste ist, und drittens, weil man das bittere Gift dort hervorragend unter die stark gewürzten Speisen mischen kann.«
»So wie Ingwer?«, erkundigte sich Sabine angespannt.
»Ingwer oder Sauermilch«, bestätigte Hack, »wobei ich Ingwer wählen würde. Die kandierten Ingwerstäbchen wurden mit einer Tinktur bestrichen, die mit dem Gift angereichert war. Wenn Sie mich fragen: sehr ausgeklügelt. Es bedurfte schon einiger Genialität, das herauszufinden.«
»Sie sind
unser Held
«, erwiderte Angersbach süffisant, und Sabine grinste. Sie beendete das Gespräch und drehte sich anschließend zu ihrem Kollegen um.
»Gute Arbeit, aber ich mag ihn trotzdem nicht.«
»Er ist gewöhnungsbedürftig«, gestand Angersbach ihr zu, »besonders gegenüber Frauen. Doch was sagt uns das Ergebnis?«
»Der Mörder hat seine Tat von langer Hand geplant und von vornherein darauf abgezielt, dass Reitmeyers Tod wie ein plötzlicher Herzstillstand beim Sport aussieht.«
»Ergo kannte er seine Gewohnheiten, zum Beispiel seine Vorliebe für kandierten Ingwer«, ergänzte
Weitere Kostenlose Bücher