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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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Initial, um das feindliche Schweigen zu durchbrechen, sich miteinander zu befassen, anstatt stumm in die Dunkelheit zu starren. Sabine wünschte den beiden, dass sich dieser Wunsch erfüllte, wenngleich sie wusste, dass mehr als eine Autofahrt dazu nötig sein würde, um die beiden ungleichen Geschwister einander anzunähern. Aber jede große Reise beginnt mit einem Schritt, wie schon Konfuzius einst erkannt hatte.
    »Möchtest du meine Jacke?«, erkundigte sich die Kommissarin, als sie erkannte, dass das zwei Meter abseits stehende, rauchende Mädchen zitterte. Sie trug nur einen dünnen schwarzen Hoodie, lehnte aber kopfschüttelnd ab. Der Stolz eines Teenagers. Dazu kolportierte Janines geringschätzender Blick die Botschaft, dass sie lieber erfröre, als eine Jack-Wolfskin-Jacke zu tragen.
    Sabine lächelte knapp und zuckte die Schultern.
    »Wir sehen uns dann morgen früh«, verabschiedete sie ihren Kollegen, als dieser im Fond des cremefarbenen Mercedes Platz genommen hatte. »Soll ich Sie abholen?«
    »Sie nutzen auch jede Gelegenheit, um mir den Verlust meines Niva aufs Brot zu schmieren, wie?«, erwiderte Angersbach grimmig.
    »Daran hatte ich eben überhaupt nicht gedacht«, wehrte Sabine ab, denn sie hatte es tatsächlich nur gut gemeint.
    »Schon gut, ich ärgere mich nur«, entschuldigte sich Ralph.
    »Was ist mit der Schrottkiste denn?«, erklang, völlig unerwartet, Janines Stimme aus dem Fahrzeuginneren. Sabine unterdrückte ein Lachen, als die Ralphs verdutzte Miene sah, und entweder unterdrückte er einen verärgerten Kommentar, oder ihm fehlte es tatsächlich mal an Schlagfertigkeit.
    Sie beugte sich hinab, damit sie dem Mädchen zublinzeln konnte.
    »Er hat ihn auf einem Acker versenkt, bevor er vor einen Zug gesprungen und über den Abhang gesegelt ist.«
    »Häh?«
    Polizeiarbeit bedeutete für Janine offenbar kaum mehr als langweiliges Bürokratentum, Prinzipienreiterei und staatliche Willkür.
    »Na, lass es dir am besten mal erzählen«, nickte Sabine. »Ich schwöre, das war eben die Wahrheit, wenn auch nur im Telegrammstil. Wenn du ihm nicht glaubst oder das Gefühl hast, er lässt Einzelheiten aus, ruf mich ruhig an.«
    Das Taxi brauste davon, und Sabine verharrte noch einige Sekunden am der hohen Bordsteinkante, bis sie den Geruch der nach öligem Ruß schmeckenden Abgaswolke nicht mehr ertragen konnte. Plötzlich übermannte sie die Müdigkeit, und sie sehnte sich ihre Badewanne herbei, den warmen Körper ihres Freundes und den Duft einer Vanillekerze.
    Dann dachte sie an ihre Mutter und seufzte.
    Du hast auch eine eigene Familie,
dachte die Kommissarin, als sie in den Twizy stieg.
Vergiss das nicht.
    Sie entschied sich, ihren Heimweg nicht über die Schnellwege zu nehmen, sondern fuhr stattdessen für den kleinen Umweg über Nieder-Erlenbach und Massenheim. Dem Impuls, einen Schlenker zur Dienststelle zu schlagen, gab sie jedoch nicht nach, denn das Gähnen ereilte sie nunmehr alle paar Minuten.
    Doch ein geruhsamer Abend mit Michael, der sie bereits erwartete, war Sabine nicht vergönnt. Als der Anruf einging, befand sie sich inmitten der Stadt, auf Höhe der großen Bahnbrücke, an deren Betonwänden Künstler surreale Szenen verewigt hatten. Am einprägsamsten waren für Sabine die Karten spielenden Wesen, eine Frau mit Vogelmaske, ein Tierschädel und ein Eierkopf. Umgeben von Kritzeleien und tiefgründigen Kommentaren, so wusste sie, war dieses zwiespältig aufgenommene Kunstwerk das Ergebnis eines Graffiti-Workshops. Kontrollierte Schmierereien, wie Kritiker fanden. Moderner Ausdruck von Gesellschaftskritik, wie Befürworter argumentierten.
    Das Display verriet ihr, dass es sich um keine der üblichen Nummern handelte, zu denen sie die Namen fein säuberlich im Speicher abgelegt hatte. Eine unbekannte Telefonnummer, allerdings mit Frankfurter Vorwahl, die angesichts der jüngsten Ereignisse unheilverkündend wirkte. Vielleicht ein Kollege des Rauschgiftdezernats, der spitzbekommen hatte, dass sie den bevorstehenden Großeinsatz unterminiert hatte. Sabine ließ es zwei weitere Male läuten, um ihre Gedanken zur Ruhe zu bringen, dann nahm sie das Gespräch an. Umso erstaunter war sie, als sich eine bekannte Stimme meldete.
    »Ich möchte mit Ihnen reden«, eröffnete Brüning, »und zwar noch heute.«
     
    Im biederen Straßenzug Okarbens wurden, zumindest unter der Woche, bei Einbruch der Dunkelheit die Rollläden heruntergelassen, bis neunzehn Uhr alle das Abendessen eingenommen

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