Giftspur
in Anzughose und Hemd, er hatte das Sakko jedoch gegen eine Strickjacke getauscht und auch die Krawatte abgelegt. Ein breiter Flur, dessen Wände aus unverputztem, rötlich eingefärbtem Beton bestanden, beherbergte eine Galerie moderner Gemälde. Drei auf jeder Seite, kleine Täfelchen gaben Informationen über den Künstler preis. An der Stirnseite führte eine milchgläserne Schiebetür in das wohnzimmergleich eingerichtete Büro. Sabine erkannte einige Fachliteratur in dem wuchtigen Holzregal, an dessen Ende eine Schiebeleiter stand, um die oberen Gefache zu erreichen. Das Regal reichte bis zur Decke des überhohen Zimmers, über einer Sitzecke gegenüber hing ein schwerer Lüster, den silberne Metallplatten und kristallgläserne Glaszylinder schmückten.
Die Siebziger lassen grüßen,
dachte Sabine. Zentral im Raum wartete ein breiter, mahagonifarbener Schreibtisch, dessen Oberfläche derart aufgeräumt war, dass es ihr schwerfiel, sich einen Akten wälzenden Anwalt dahinter vorzustellen. Doch nach allem, was Sabine erfahren hatte, schienen Dr. Brünings Stundenhonorare längst hoch genug zu sein, dass er sich nicht mehr achtzehn Stunden am Tag durch meterdicke Papierstapel zu kämpfen hatte.
Zielstrebig schritt Brüning zu einem im Bücherregal verborgenen Klappschrank, nachdem er ihr einen Platz angeboten hatte.
»Etwas zu trinken?«
Der offizielle Dienst war theoretisch vorbei, wie der Kommissarin durch den Kopf ging. Doch während einer Mordermittlung gab es keinen hundertprozentigen Dienstschluss, nicht, bevor der Mörder überführt war.
»Danke, nein«, antwortete sie daher.
»Sie verpassen einen hervorragenden Cognac«, lächelte der Anwalt, als er, ein dickbauchiges Glas schwenkend, zurückkehrte. Er ließ sich in seinen Drehstuhl sinken und seufzte. »Falls Sie es sich noch überlegen …« Er nickte in Richtung Spirituosenschrank, dessen Klappe er noch nicht wieder verschlossen hatte.
Sabine erinnerte sich unvermittelt an etwas. Vielleicht war es nur eine Kleinigkeit, aber sie konnte es sich nicht leisten, ein noch so winziges Detail außer Acht zu lassen.
»Wie sind Sie eigentlich so schnell an die Million Euro gekommen, fein säuberlich in Fünfhundertern, mit Banderolen?«, fragte sie unverhohlen, und der Anwalt räusperte sich. »Zumal die meisten Banken um diese Uhrzeit längst geschlossen hatten«, setzte sie rasch nach.
»Die Liquidität von Frau Reitmeyer steht außer Frage«, erklärte Brüning ausweichend, »von daher habe ich das Geld, nun ja, unbürokratisch organisieren können.«
Doch das war der Kommissarin zu lax.
»Fakten, Herr Brüning, ich möchte das genau wissen«, forderte sie.
»Es stammt aus meinem Safe. Zufrieden?«
»Sie haben eine Million Euro in Ihrem Safe?«
»Warum nicht?«
»Sie verzeihen, wenn ich das als hochgradig sonderbar empfinde.«
»Das steht Ihnen frei«, lächelte der Anwalt kühl.
»Kommen Sie«, bohrte Sabine weiter. »Geben Sie mir eine vernünftige Erklärung dafür. Vielleicht reicht meine naive Vorstellung als kleine Beamtin ja nicht aus, aber ich gehe nicht davon aus, dass man in Ihren Kreisen so viel Geld in der Matratze bunkert.«
Brüning lachte bitter auf. »Wenn Sie wüssten, was ich bei einigen meiner Klienten schon erlebt habe. Einer von denen hat noch D-Mark-Rollen in Weckgläsern, luftdicht, vor Motten und Schimmelbefall geschützt.«
»Bringt ihm bloß nicht viel.«
»Trotzdem. Er würde sich niemals die Blöße geben, die Geldbündel jemandem zu zeigen. Der Spott wäre riesig, zum Glück nagt er auch sonst nicht am Hungertuch. Aber es spricht nichts gegen Reserven«, sprach er äußerst ernst weiter, »vor allem nicht, da die Banken nicht mehr das Nonplusultra sind. Für mich als Anwalt ist das absolut nachvollziehbar.«
»Für mich als Kommissarin ist aber auch eine ganz andere Theorie nachvollziehbar«, hielt Sabine dagegen und hob die Augenbrauen. »Sie hielten genau die Summe bereit, die der Erpresser Ihrer Klientin erst noch abverlangen würde.«
»Beschuldigen Sie etwa mich?« Brüning machte ein unerwartet dümmliches Gesicht.
»Sollte ich das denn?«
»Gewiss nicht.« Er schien sich gefangen zu haben, aus seinen Augen sprach nun wieder juristisches Kalkül. »Warum sollte ich diese Summe denn erpressen, wenn ich sie längst habe?«
Verdammt.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen was.« Er stand auf, gebot der Kommissarin ungeduldig, ihm zu folgen, und eilte zum Wandregal. Mit flinken Griffen bewegte er einige
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