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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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hatten, und spätestens zur Tagesschau fand man sich in Sichtweite des Fernsehers ein. Kommissar Angersbach jedenfalls bedauerte es nicht, dass das Taxi, dem sie vor wenigen Minuten entstiegen waren, keine sensationsbegierigen Blicke auf sich zog. Blicke, aus denen die Geringschätzung für eine nach außen hin nicht definierbare Form des Zusammenlebens sprach, gewürzt mit dem zynischen Beigeschmack, dass es ja kein Wunder sei. Immerhin fiel der Apfel nicht weit vom Stamm, wie man ja wusste, und dass das jahrzehntelange Lotterleben der Mutter kein gesundes Wurzelwerk bildete, war kein Geheimnis. Man sprach natürlich nur hinter vorgehaltener Hand darüber, und hinter geschlossener Gardine, aber es dominierte die Abscheu über dem Mitgefühl und das Vorurteil über der Bereitschaft, hinter die Fassade zu blicken. Angersbach war dieses Spießbürgertum nicht fremd, doch er hatte als Heim- und Pflegekind gelernt, sich ein dickes Fell zuzulegen. Über jede Gelegenheit, sich
nicht
mit Nachbarn herumzuärgern, war er trotzdem dankbar.
    Seine Schulter meldete sich, als er wie selbstverständlich in seine Tasche langen und den Schlüssel zum Vorschein bringen wollte. Stechender Schmerz durchzuckte das Gelenk, und er krümmte sich stöhnend.
    »Was denn?« Es waren die ersten Worte, zu denen sich Janine nach einer gut viertelstündigen Fahrt hinreißen ließ. Nur das Radio hatte leise gedudelt, während der Fahrer den Eindruck erlangt hatte, dass das Klima im Wageninneren weitaus unterkühlter war als der aufsteigende Nachtfrost. Mit verschränkten Armen hatte sie dagesessen, die Stöpsel des iPod in den Ohren, und ihm die kalte Schulter gezeigt.
    Schulter.
    »Du hast doch gehört, was die Kaufmann gesagt hat«, antwortete er. Da er nicht darauf hoffte, dass Janine sich bemühte, ihren Schlüssel hervorzuholen, griff er mit der anderen Hand umständlich in seine Tasche.
    »Du hast die Karre geschrottet und dich vor ’nen Zug geschmissen oder so.«
    »Ähm,
das
hat sie nicht gesagt«, wandte Ralph ein, während die Haustür aufschwang und sich Janine sofort an ihm vorbeidrückte. Sie schien nicht an einer Erklärung interessiert, zumindest stapfte sie zielstrebig weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. »Möchtest du es nicht wissen?«
    Dann, auf der obersten Stufe, drehte sich das Mädchen um, und aus ihren Augen blitzte der Zorn.
    »Ich will
nichts
von dir wissen!« Ihre Stimme war nahe daran, sich zu überschlagen. »Ich will nichts mit dir zu tun haben! Was bildest du dir eigentlich ein, mir nachzustellen und über mich bestimmen zu wollen?«
    Ein Gift und Galle speiendes Ungetüm hätte nicht furchteinflößender sein können, und Angersbach fühlte sich völlig hilflos. Seine Position am unteren Ende der Treppe machte das Ganze nicht besser.
    »Lass mich das bitte erklären«, versuchte er sein Glück, doch von oben kam nur ein schnaubendes »Pah!«, und er sah Janine bereits in einer Rauchwolke entmaterialisieren, doch hörte stattdessen nur das altbekannte wütende Stampfen, ein Knallen der leidgeprüften Zimmertür und Sekunden später den heiseren Schlachtruf einer Deathmetal-Band.
    Eine Familienzusammenführung nach Art des Hauses, die sicher nicht im Sinne von Sabine Kaufmann war. Doch was wusste seine Kollegin schon? Sie war ein einziges Mal hier gewesen und bildete sich deshalb ein …
Nein,
mahnte sich der Kommissar selbst zur Ordnung. Er konnte die Schuld nicht Sabine zuschieben. Langsam stieg er die Stufen hinauf, schlüpfte aus dem Mantel und schlenderte in Richtung Speisekammer. Er hatte Hunger und war hundemüde, doch das Einzige, was ihn interessierte, war eine Flasche Wein. Er bedauerte, als er den Kunstkorken ploppend aus dem Flaschenhals zog, dass sich nichts Härteres im Haus befand. Zumindest nicht in seinem Bereich. Und im selben Moment war er erleichtert darüber. Er hatte noch nie einen Menschen kennengelernt, dessen Probleme sich durch Alkohol gebessert hatten, aber nicht wenige, bei denen das Gegenteil eingetreten war.
    Ein Glas zum Runterkommen,
sagte er sich. So viel gestand er sich zu. Danach sehen wir weiter.
     
    Ein zweites Mal an diesem Abend steuerte Sabine ihr Elektroauto über die Stadtgrenze. Der Ginnheimer Spargel, Frankfurts markanter Funkturm, wies ihr den Weg. Sie passierte den Kreisel, der das Nordwestzentrum umgab. Fernab der Ladenöffnungszeiten und der Rushhour lagen die spärlich beleuchteten Fahrspuren nahezu verwaist. Dann erreichte sie Niederursel.
    Brüning empfing sie

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