Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
Vom Netzwerk:
er an Lebensalter auf dem Buckel hatte, glich er angeblich durch Charme und Esprit aus, es sei denn, er hatte jemanden auf dem Kieker. Unter seinen Studenten war er dafür berüchtigt, das unbewegliche Glasauge in Richtung des Auditoriums zu richten und mit dem anderen rastlos durch die Reihen zu blicken. Wie im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs fühlten sich auf diese Weise stets mindestens ein Drittel der Anwesenden unangenehm fokussiert. Auch bei Dienstbesprechungen, so hieß es, würde er diese aus einer Not geborene Untugend gerne einsetzen, sobald die Aufmerksamkeit zu schwinden drohte.
    Ein echter Charmebolzen,
schloss die Kommissarin schmunzelnd, zufrieden, dass sie doch einiges über den Mann wusste, der die gerichtliche Leichenöffnung von Ulf Reitmeyer übernehmen würde. Glücklicherweise waren Hack und Schulte so etwas wie alte Kameraden, und neben der Pressekonferenz hatte sich der Boss auch gleich um den Anruf bei Professor Hack gekümmert. Das erschien sinnvoll, denn Sabine erinnerte sich an einen Wortwechsel Ende Januar zwischen ihr und Schulte, als es an einem Samstagabend darum ging, eine weibliche Leiche zu untersuchen, die erstochen worden war.
    »Wenn dort jemand anderes anruft als ich«, hatte Schulte seinerzeit mit verschwörerischer Miene gesagt, »hat Hack flugs einen weiteren Toten in seiner Kühlkammer liegen.«
    Wohl eine heillose Übertreibung. Oder gab es für die Kollegen der Rechtsmedizin etwa keine Rufbereitschaft? Lagen die Dinge heute ähnlich? Einmal mehr wurde Sabine Kaufmann gewahr, dass sie sich an einige der vorherrschenden Strukturen noch gewöhnen oder diese gar von null auf kennenlernen musste. Da fiel ihr ein, dass Angersbach von einer guten und schlechten Nachricht gesprochen hatte, und sie warf ihm einen raschen Blick zu.
    »Was war das denn nun eigentlich mit Professor Hack? Die gute oder die schlechte?«
    »Beides«, erwiderte Angersbach lachend.
     
    Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen erreichte man über die Frankfurter Straße, eine der Hauptverkehrsadern des beschaulichen Städtchens. Altbauten, Villen und moderne Fassaden reihten sich wie selbstverständlich aneinander; trotz der trüben Witterung ein bunt erstrahlender Flickenteppich. Gesäumt wurde das Ambiente von den erhabenen Gebäuden der Universität, welche an schier unzähligen Standorten Institute, Büros und Labor beherbergte.
    Professor Hack begrüßte die Kommissare erwartungsgemäß mürrisch und wechselte anschließend einige Worte mit Ralph Angersbach, die sich auf frühere Begegnungen beriefen. Sabine Kaufmann konnte nicht allem einen Sinn entnehmen, versuchte es auch nicht, aber als ein trockenes Lachen ertönte und Hack sich in Bewegung setzte, widmete sie ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit.
    »Hätten Sie ihn nicht nach Frankfurt verschiffen können?«, brummte er, hastig voranschreitend und nur mit leicht zur Seite gedrehtem Blick. Das Auge starrte dabei wie absichtlich an ihr vorbei. Was zunächst wie eine forsche Geste anmutete, war, wie der Kommissarin dann einfiel, keine Absicht.
Das Glasauge.
Nun wusste sie zumindest schon einmal, um welches der beiden es sich handelte.
    Angersbach sprang in die Bresche. »Schultes Entscheidung«, gab er dem Pathologen zu verstehen.
    »Prächtig. Wenn’s nach Horst geht, trifft’s mich immer.«
    In einem Nebenzimmer lasen sie eine Assistentin auf, die Angersbach nicht zu kennen schien und die auch Sabine völlig unbekannt war. Außerdem stand ein junger Mann von der Staatsanwaltschaft bei ihr, einen beinahe leeren Kaffeebecher in der Hand, der sich den Kommissaren reserviert vorstellte.
    »Sie schon wieder?«, polterte Hack, während seine Pranke die des Mannes zu zermalmen schien. »Wem sind Sie denn an den Karren gefahren, dass man Sie ständig zu Sektionen abkommandiert?« Er grinste, als der Anwalt etwas von Telefonkette und Zuständigkeit brabbelte, und schien sich für die Antwort nicht im Geringsten zu interessieren. Die Legenden waren also allesamt wahr, dachte Sabine. Hoffentlich war seine Arbeit genauso professionell wie seine bemerkenswert ungehobelte Art.
    Ulf Reitmeyer lag in der Mitte des Raumes, die über ihm befindliche Leuchte flackerte kurz, bevor sie ihn in ein farbloses Licht tauchte. Der Körper war bedeckt von einem Tuch, welches Professor Hack ohne Umschweife entfernte. Er klappte eine Brille auseinander und schob sich diese auf den breiten Nasenrücken. Dann schnalzte er mit der Zunge.
    »Der erste Bericht ist

Weitere Kostenlose Bücher