Giftspur
kerzengerade. Aus der aufplatzenden Schwarte drangen die Innereien nach außen.
Derweil sprach Hack, an Sabine gerichtet, weiter: »Ob Sie’s glauben oder nicht, aber im Kosovo habe ich es erlebt. Da schoss man, um Munition zu sparen, zwei nebeneinanderstehenden Personen ins Ohr. Sehr effizient.« Er blinzelte über seinen Brillenrand kurz in die Runde, um Reaktionen zu erhaschen, doch niemand erwiderte etwas. »Ein Kollege von mir gibt außerdem gerne einen Fall zum Besten, dass eine gehörnte Ehefrau ihrem Gatten in den Hintern geschossen haben soll. Aber diese Geschichte hab ich schon so oft in so vielen Varianten gehört … Na, wie auch immer.«
Neben einer gehörigen Portion Selbstverliebtheit, die Professor Hack zur Schau stellte, und einigen sarkastischen Äußerungen bezüglich des Innenlebens von Ulf Reitmeyer bot die Untersuchung der Leiche nur wenig Neues. Er entnahm die inneren Organe einzeln und begutachtete diese. Was beim Schlachten nach außen gekrempelt und mit dem Ausbeinmesser durchtrennt wurde, wanderte hier fein säuberlich auf die Waage und in separate Behältnisse. Keine Aluminiumwanne, in der die glibberigen Innereien schwammen, so konturlos, als wären sie geschmolzen. Doch die schmatzenden Geräusche, das Glucksen und das Tropfen, waren identisch.
Weder im Kopf noch im Darm noch sonst irgendwo fanden sich Hinweise auf eine Patronenspitze. Reitmeyer hatte weder eine Fettleber noch andere Indizien auf eine innere Erkrankung, und letzten Endes blieb nur die Frage nach einer Intoxikation offen.
Fleischbeschau. Fehlte nur noch, dass er einen Stempel auspackte und ihn auf die einzelnen Körperteile presste. Und im Hintergrund, am Kessel, die Frauen mit dem großen Rührer.
»Duh reure, Marri!«, schallte die mahnende Stimme tief aus Angersbachs Unterbewusstsein.
Tu rühren, Marie!
Rühren im angefeuerten Kessel, in dem das Schweineblut in spritzenden Wellen rundherum getrieben wurde, damit es nicht anbrannte.
Duh reure, damit mer Blout für die Bloutwurscht krieje!
Jeder Handgriff und jedes gesprochene Wort waren Routine, eingespielt durch unzählige Male, an denen dasselbe Procedere ablief. Das Ergebnis war stets dasselbe. Ein Schwein weniger auf dieser Welt, der Hof mit Blut und Exkrementen verschmiert, und das aufgeregte Grunzen zur Fütterungszeit wirkte weitaus dezenter als sonst. Keiner der Überlebenden schien auffallen zu wollen. Keine dumme Strategie.
Schweine waren schließlich ausgesprochen intelligent.
Angst gemacht hatte dem jungen Kommissar diese brutale Szenerie nicht, denn sie gehörte auf dem Land zum Alltag, auch wenn es heute kaum mehr praktiziert wurde. Doch die Schweinehaken, die man an zahllosen Häusern noch immer vorfindet, bewahren die Erinnerung. Seit jenen Tagen hatte Ralph einen Ekel vor Schweinefleisch. Angst hingegen hatte er eher vor den Menschen, die die wahren Raubtiere waren.
Und vor Wölfen. Doch das gehörte in eine andere Erinnerungsschublade, die er hastig wieder schloss, denn Professor Hack bereitete nun die Gewebeproben vor.
»Das Tox-Screening bekommt oberste Priorität«, versprach er, fügte allerdings hinzu, dass aufgrund des Zustands der inneren Organe keine bahnbrechenden Erkenntnisse zu erwarten seien. Viel wichtiger, betonte er, sei ein ganz anderer Sachverhalt, den bereits Dr. Körber am Fundort erwähnt hatte: »Sprechen Sie mit dem Hausarzt des Mannes, und lassen Sie mir die Krankengeschichte zukommen.«
Selbstredend.
Doch sowohl Angersbach als auch Kaufmann ahnten, dass ihre Mühen in diese Richtung das sich ankündigende Ergebnis nicht mehr ändern würden.
Ulf Reitmeyer hatte beim Frühsport der plötzliche Tod ereilt.
Fremdeinwirkung unwahrscheinlich.
Der Lada passierte die Bahnunterführung und erreichte den Abzweig zur Dienststelle, jene versteckte Straße, die Sabine bei ihrem ersten Besuch zweimal verfehlt hatte. Die Meldung vom plötzlichen Dahinscheiden des Bio-Moguls war bereits in die Mittagsnachrichten gelangt, was weder Sabine noch Ralph wunderte, denn immerhin befand sich der Radiosender praktisch in Sichtweite des Leichenfundorts. Auch dies blieb nicht unerwähnt, dankenswerterweise unterließ man jedoch allzu wilde Spekulationen. Sowohl der Hin- als auch der Rückweg von Gießen waren auf den verkehrsarmen Schnellstraßen zügig vonstattengegangen. Selbst die Wirbelsäule wurde halbwegs geschont, denn es gab nur wenige Straßenschäden, die der Federung zusetzten. Eine Gelegenheit für tiefergehende
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