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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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ein Witz«, kommentierte er den aus seinem Kittel herauslugenden Totenschein Dr. Körbers. »Zum Glück hat der Verblichene nicht auf dem Rücken gelegen, und er hat sich zu einer Temperaturmessung im Rektum hinreißen lassen. Sonst würde ich ihn jetzt verklagen, das können Sie mir glauben. Na ja, legen wir mal los.«
    Er nickte seiner Assistentin zu, welche daraufhin das Aufnahmegerät aktivierte.
     
    Ralph Angersbach hatte schon so mancher Sektion beigewohnt, und vor allem die Untersuchungen durch Professor Hack waren üblicherweise ein Mix aus medizinischem Blabla und morbidem Humor. Gewürzt wurde das Ganze hin und wieder durch den einen oder anderen Schwank aus Hacks ereignisreichem Leben. Als ständiger Begleiter des Todes, also dem, wie der Rechtsmediziner es auszudrücken pflegte, »krisensichersten Arbeitgeber der Welt«, hatte er schon eine Menge gesehen. »Zu viel für zwei Augen«, wie er nicht selten zum Besten gab, wenn betretenes Schweigen herrschte.
Hackebeil –
so nannte man ihn, teils amüsiert und teils ehrfürchtig – erfreute sich nicht nur unter seinen Studenten eines gewissen Rufes. Seit Jahren kursierten die verschiedensten Gerüchte, etwa, dass der Professor mit seinen Patienten spräche, wenn er allein im Sektionssaal stand.
    »Wieso denn auch nicht?«, war Hacks lachende Reaktion gewesen, als Angersbach ihn einmal darauf angesprochen hatte. Dann hatte er sich an die Stirn getippt und gemurmelt: »Andere sprechen mit ihren Tomaten. Geht’s noch?«
    Ralph hatte bei jeder Leichenöffnung noch mit ganz anderem zu kämpfen. In Kindertagen hatte er die eine oder andere Hausschlachtung mit angesehen. Ein Schwein von gut und gerne zwei Zentnern, dessen Maße, Hautfarbe und sogar die leblose Form des Kadavers denen eines Mannes ähnelten, hing baumelnd an einem Wandhaken. Wenige Minuten zuvor noch hatte es drei keuchende Männer gebraucht, um das Vieh zu bändigen, welches quiekend und schreiend in seinem Kabuff polterte, bis das unvergessliche
»Pssing!«
des Bolzenschussapparats dem Leid ein Ende setzte. Ein nackter Toter auf dem Blechtisch, eine rosige Sau am Haken; Ralph hatte es nie geschafft, dagegen anzukämpfen, dass diese beiden Szenarien im Laufe der Jahre miteinander verschmolzen. Der Schlächter in seiner weißen Schürze, der stolze Bauer, dessen Stall die Sau entwachsen war, die Frauen an Wanne und Kessel, bereit, die Zerlegungszeremonie routiniert zu begleiten.
    Der Professor ratterte derweil eine routinierte Litanei von Fachbegriffen hinunter, während er die äußere Begutachtung vornahm. Ein normal gebauter Mann von altersgemäßer Konstitution.
Eine kapitale Sau.
    Wann immer Hack eine Körpereigenschaft erwähnte, wanderten Ralphs Augen an die entsprechende Stelle. Sabine tat dasselbe, und er schätzte, dass sie dankbar war, dass Reitmeyers Leichnam ein verhältnismäßig ästhetischer war. Keine offenen Verletzungen, kein aufgedunsener Leib, kein verfaultes Gewebe. Die Haut war von einer blauvioletten Marmorierung, und überall dort, wo der Körper auf dem Boden gelegen hatte, befanden sich bleiche Stellen.
Rosig wie ein Ferkel.
    An den Achselhöhlen und rund um die Taille durchwuchsen schmale, unregelmäßige Streifen die dunkle Leichenfärbung, ebenso hell wand sich eine Bahn wie ein Gürtel unterhalb des Bauchnabels. Kleidungsspuren, wusste der Kommissar, verursacht durch Falten im Stoff oder einen enganliegenden Bund. Dort, wo das Blut nicht ungehindert hinlaufen konnte, entstanden keine Livores, Totenflecke.
    »Dem Anschein nach Zusammenbruch von HKS und ZNS nach kurzer Agonie«, drängte sich Hacks schnarrende Stimme zurück in Ralphs Bewusstsein. »Aber was zum Geier soll dieser unselige Kommentar in puncto Projektilverletzung?«
    »Eine Zeugin will einen Schuss vernommen haben«, erklärte Sabine hastig, was zu einem Stocken des Professors führte.
    »Und wo soll das Projektil bitte eingedrungen sein?« Seine Stimme reicherte sich mit höhnischer Ironie an. »Ins Ohr? Ins Rektum?«
    »Sagen Sie es uns«, gab die Kommissarin beherzt zurück.
    »Sie gefallen mir, Mädchen!«, lachte Hack und beugte sich wieder über den Toten. Während er den Rumpf in einer bedächtigen, wie mit einem Lineal vollzogenen Bewegung von der Halsgrube bis oberhalb des Schambereichs aufschnitt und die T-Öffnung anschließend mit einem weiteren, von einer zur anderen Schulter verlaufenden Bogenschnitt vollendete, drangen die alten Erinnerungen wieder vor Ralphs Auge. Von unten nach oben,

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