Giftspur
war. »Kommen Sie doch bitte rein, ich hole sie.«
»Danke«, murmelte Angersbach und betrat nach seiner Kollegin den sandfarben gefliesten Flur.
»Und Sie sind?«, wandte Sabine sich an den Mann.
»Anselm Finke natürlich«, kam es brüskiert zurück. »Veras Mann.«
Wenige Minuten später saßen Angersbach und Kaufmann an einem runden, unverschnörkelten Eichentisch, auf dem zahlreiche kreisrunde Abdruckspuren darauf hindeuteten, dass man im Hause Finke keine Untersetzer kannte. Vera war eine naturschöne Frau, die gegenüber ihrem Mann wie eine Walküre wirkte, obgleich sie kaum mehr als normal proportioniert war. Kein Make-up, lediglich eine kastanienbraune Haartönung, vermutlich Henna, und ein verschnörkeltes Tattoo auf den makellosen Unterarmen. Sie hatte einen dezent südländischen Teint, dazu grüne Augen und einige Sommersprossen um die spitze Nase.
Im Gegensatz zu meinen bleiben ihre sogar im Winter,
konstatierte Sabine ein wenig neidisch in Gedanken, dann konzentrierte sie sich auf die Mimik und Gestik der Frau. Angersbach gab sich alle Mühe, das Gespräch behutsam anzukurbeln, doch welche Adjektive und Metaphern konnten den Verlust eines nahestehenden Menschen wohl schönreden.
»Tot?«, hauchte Vera und begann, sich nervös die Unterarme zu kratzen, bis sich rote Striemen über die Tätowierungen zogen. Anselm Finke rückte näher zu ihr, doch sie ging reflexartig auf Abstand. Peinlich berührt erhob er sich und fragte die Kommissare, ob sie etwas trinken wollten. Sie verneinten, trotzdem verließ er die Küche, und sofort zischte seine Frau mit leidender Miene und voller Verzweiflung ein »Sie sagen ihm doch nichts?« in Angersbachs Richtung. Offenbar ahnte sie, dass die beiden über ihr Verhältnis zu Reitmeyer informiert waren, denn sie setzte noch einmal flehend nach: »Bitte, Sie dürfen ihm nichts sagen«, nun an Sabine gerichtet, womöglich in der Hoffnung, in einer weiblichen Person eine Seelenverwandte zu finden.
In diesem Augenblick waren auch schon wieder Anselm Finkes schlurfende Schritte zu vernehmen, und Sabine entschied spontan, vorerst keine peinliche Konfrontation zu verursachen.
»Sie haben für den Verstorbenen gearbeitet?«, fragte sie ein wenig umständlich in der Hoffnung, dass sie den Wink verstehen würde. Und Angersbach auch.
Vera nickte und schluckte. »Im Hofladen, ja. Eine Dreiviertelstelle.«
»Von wegen«, knurrte ihr Mann verächtlich, und sein Blick verdüsterte sich. Fragend blickte Angersbach zu ihm auf, und Anselm fuhr fort: »Eher eindreiviertel, so oft, wie du länger bleiben musstest.«
»Ach, Unsinn«, nervös wedelte Vera mit den Handflächen, »das scheint nur, weil es sich so ungünstig verteilt. Außerdem hat Ulf mir jede Überstunde …«
»Ulf, Ulf!«, spie Anselm aus, noch immer stehend, und gestikulierte abfällig. »Wenn Ulf sagt:
Spring,
dann springen sie alle. Aber wehe, wenn man mal nicht spurt.«
»Hör doch auf, Liebling«, flehte Vera, die offensichtlich damit kämpfte, die Fassung zu wahren und nicht in Tränen auszubrechen.
»Sie waren nicht gut auf ihn zu sprechen?«, hakte Angersbach bei ihrem Mann nach.
»Gelinde gesagt, nein. Aber das tut nichts zur Sache.«
»Das würden wir gerne selbst entscheiden. Welcher Art waren Ihre Schwierigkeiten denn?«
»Vergessen Sie’s«, wehrte sich Anselm. »Sagen Sie mir lieber, was passiert ist.«
»Reitmeyer wurde tot am Niddaradweg gefunden«, erklärte Sabine, ohne ins Detail zu gehen. »Heute Morgen gegen acht Uhr. Wo waren Sie um diese Zeit?«
»Bin ich etwa verdächtig?«
»Beantworten Sie bitte die Frage«, forderte Angersbach.
»Hier im Büro. Vera kann das bezeugen. Oder, Vera?« Anselm tippte seiner Frau auf die Schulter, und diese fuhr erschrocken zusammen. »Sag doch auch mal was!«, forderte er.
»Ja, kann sein, ich habe nicht auf die Uhr geschaut«, gab diese mit gesenktem Blick zu verstehen. Sie fixierte die Tischplatte und fuhr mit den Fingerspitzen entlang der Fleckenringe.
»Und was ist mit Ihnen?«, erkundigte sich Sabine und schob ihre Hand langsam nach vorn, um die ihres Gegenübers zu erreichen. Hastig zog Vera ihre Hände zurück und verschränkte die Arme vor ihrem Körper.
»Wenn Sie mich im Haus wahrgenommen hat, wird sie ja wohl auch selbst da gewesen sein«, meckerte das Männchen ungeduldig, und Sabine kam plötzlich eine alte Märchenverfilmung in den Sinn.
Rumpelstilzchen,
schoss ihr impulsiv durch den Kopf, und sie unterdrückte ein Grinsen. Fehlte
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