Giftspur
darauf reagieren würde. Das hagere Männchen räusperte sich kurz und wischte sich Schweißperlen von der Stirn.
»Letzten Endes kommt es doch darauf an, dass Vera all die Jahre bei mir geblieben ist. Der Rest ist Vergangenheit, also belassen wir es dabei.«
Mehr hatte Anselm Finke nicht zu sagen und verschwand kurz darauf so still und leise, wie er gekommen war, im Hausinneren.
»Der hat gut reden«, kommentierte Angersbach, als er sich mit einem angestrengten Ächzen hinab in den Beifahrersitz sinken ließ, und Sabine glaubte zu wissen, worauf er hinauswollte.
Für Anselm Finke schienen sämtliche Probleme mit Ulf Reitmeyers Tod gelöst zu sein.
Das Elektroauto holperte über den Bordstein auf den Parkplatz, und Angersbach erdreistete sich prompt zu dem Kommentar, dass die Federung ganz schön unbequem sei.
»Wie bitte?« Sabine warf ihm einen empörten Blick zu.
»Für ein Format wie diesen Hasenkasten ist die Federung zu hart«, bekräftigte dieser seinen Standpunkt, und sofort schnellte Sabines Zeigefinger in Richtung des Lada.
»Wollen Sie dieses Fass tatsächlich aufmachen? Nennen Sie das, was in Ihrer Kiste verbaut ist, etwa eine angemessene Federung?«
»Meine
Kiste,
wie Sie es nennen, ist eine vollkommen andere Fahrzeugklasse«, entgegnete Angersbach trocken, ohne sich auf das angriffslustige Funkeln in Sabines Augen einzulassen.
»Na, von einem eleganten grünen Jeep, wie die Wischnewski ihn gesehen haben will, ist er aber einige Klassen entfernt«, frotzelte sie.
»Gehen Sie noch mal rein?« Angersbach klimperte mit seinem Schlüsselbund und nickte in Richtung seines Wagens.
»Wollte mir noch einige Notizen machen und ein paar Sachen recherchieren. Sie nicht?«
»Nichts, was nicht auch noch morgen früh erledigt werden könnte. Schulte und alle anderen sind längst weg, und an den Computer kann ich mich auch zu Hause setzen. Da habe ich wenigstens eine Couch.«
Und eine ätzende Halbschwester.
»Fahren Sie nur.« Sabine Kaufmann wollte ihn offenbar loswerden. Hatte er sie etwa verärgert?
»Na, dann drehe ich wenigstens noch einen kurzen Schlenker bei Frau Ruppert vorbei«, schlug Angersbach vor. »Die Sache mit dem Schuss hat sich ja nun wohl erledigt, trotzdem stößt mir das Ganze noch bitter auf. Halten Sie es für möglich, dass sie sich den Schuss nur eingebildet hat und jetzt aus Stolz oder Scham an ihrer Aussage festhält?«
Sabine Kaufmann überlegte kurz und sagte dann: »Ob ich so weit gehen würde, weiß ich nicht. Aber wenn Sie ihr noch mal auf den Zahn fühlen wollen, nur zu.«
Als Angersbach sich in Richtung seines Lada abwandte, konnte sich die Kommissarin einen spöttischen Kommentar nicht mehr verkneifen: »Ich dachte, Ihre Couch wartet auf Sie? Ihr malträtiertes Gesäß schien doch förmlich danach zu schreien.«
S
ie
ist
verärgert, registrierte Angersbach und verkniff sich eine spitze Gegenbemerkung. Sollte kein himmlisches Wunder geschehen sein und Janine sich entmaterialisiert haben oder wenigstens mit ihrem obskuren Lover auf Nimmerwiedersehen durchgebrannt sein, musste er mit seiner verbalen Munition sparsam sein.
Die Dunkelheit hatte sich längst wie eine Decke über die Stadt gelegt, nur dass sie statt behaglicher Wärme nur Einsamkeit brachte und neuen Frost. Der Fernseher flimmerte, es lief der Weltspiegel mit einem Bericht über einen Einsiedler, der in den polnischen Wäldern lebte. Sabine schaute desinteressiert zu, die Hand um ein halbleeres Glas Rotwein geschlossen, in dem sich die Lichtreflexe des Bildschirms spiegelten. Der Mann war zur Gänze in Pelz gekleidet und schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen.
Na, wenigstens hat er Sonne und Schnee.
Die Kommissarin hingegen fröstelte schon beim Gedanken daran, ihre wärmende Decke zu verlassen, in die sie sich eingerollt hatte. Mit einem großen Zug leerte sie das Glas und stellte beim Nachschenken fest, dass die Flasche beinahe leer war.
Prima,
dachte sie zerknirscht. Rechnerisch war es nur ein Dreiviertelliter Wein, kein Grund also, das Ganze überzubewerten. Doch es waren die Rahmenbedingungen, die das Ganze bedenklich machten. Sabine konnte nicht umhin, an die Jahre zurückliegenden Alkoholexzesse ihrer Mutter zu denken. Diese Zeiten mochten längst vergangen sein, aber die Narben in ihrer Seele schmerzten, als sei es erst gestern gewesen. Ein als dienstfrei geplanter Sonntag war vorübergegangen, und anstatt sich um ihre Mutter zu kümmern, deretwegen Sabine immerhin den Wechsel von
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