Giftspur
geschmacklos.«
»Wäre es Ihnen lieber, wenn wir ein fremdverschuldetes Ableben übersehen würden?«, fragte Angersbach zurück, und die Frau biss sich auf die Unterlippe.
War es Angst, die in ihren Augen lag?, fragte sich Sabine. Und falls ja, was befürchtete sie? Die Tatsache, dass jemand ihren Vater ermordet haben könnte, oder die Möglichkeit, dass jemand es herausfand?
Vera Finke sortierte eine Stiege mit Gemüse, als das metallene Glockenspiel über der Tür anschlug. Sie fuhr erschrocken herum, was Sabine wunderte, denn in einem Einkaufsladen war es doch wohl normal, dass Kundschaft hereinkam. Auch heute war die Verkäuferin ungeschminkt, mit Ausnahme eines dezenten Puders auf den Wangen, welchen man aber wohl nur als Frau bemerkte. Sie trug ein ockerfarbenes Hemd, darunter ein gemustertes Halstuch, und um ihre Taille schlang sich eine dunkelgrüne Schürze. Es war angenehm warm im Inneren des kleinen Raumes, es roch süßlich und ein wenig nussig. Sabine vermochte die Gerüche nicht einzuordnen und ließ den Blick rasch über die Auslagen wandern: Bananen, Tomaten, Kartoffeln, das gewöhnliche Sortiment eines Obst- und Gemüsehändlers, außerdem einige heimische Apfelsorten, Zitrusfrüchte und Ingwerwurzeln. Zwei Glastürkühlschränke, von denen einer eine beschlagene Scheibe hatte, beinhalteten alle möglichen Molkereiprodukte in braunen Glasbehältern, außerdem eingeschweißte Wurst und Käse. In einem Kühlregal, hinter dem es in diesem Augenblick metallisch schepperte, gefolgt von einem dumpfen Brummen, lagen vegetarische und vegane Produkte, darunter einige Bio-Marken, die Sabine aus anderen Geschäften kannte.
»Guten Morgen«, vernahm sie Vera Finkes Stimme, die mit traurigen Augen zuerst Angersbach und dann ihr zunickte. Die Kommissare erwiderten den Gruß.
»Ich bin völlig neben der Spur. Aber Sie sind meine ersten Besucher heute, vielleicht legt sich das noch. Gibt es denn etwas Neues?«
»Darüber dürfen wir nichts sagen«, wich Sabine aus und rieb sich die Wange. »Wir kommen, um noch einmal über gestern zu sprechen.« Sie blieb bewusst unpräzise, um Vera aus der Reserve zu locken.
»Danke, dass Sie meinem Mann gegenüber nichts erwähnt haben«, nickte Vera leise.
»Wovon genau sprechen Sie denn?«
»Na, von dieser Sache mit Ulf, ich meine, mit Herrn Reitmeyer«, korrigierte sie flink.
»Und bei dieser
Sache
handelt es sich um was?«
»Wir hatten eine Romanze. Warum fragen Sie denn, wenn Sie es ohnehin schon wissen?«
»Ich wollte es von Ihnen selbst hören«, gab Sabine zurück. »Ihr Mann weiß nichts davon?«
»Hm. Doch.«
Zumindest ist sie in dieser Hinsicht ehrlich.
Sabine tat dennoch erstaunt: »Er wusste Bescheid?«
»Ja, na ja«, wand sich Vera, »er glaubt zumindest, alles zu wissen. Aber was für eine Rolle spielt das noch? Jetzt läuft ja nichts mehr zwischen Ulf und mir.«
Sie schluckte schwer, und Sabine überlegte kurz.
»Wer hat die Beziehung denn beendet?«
»Sehr witzig.« Vera blitzte die Kommissarin wütend an. »Was soll diese Frage?«
Also war Sabine auf der richtigen Spur.
»Wir müssen uns ein Bild darüber machen, wie die Geschichte zwischen Ihnen endete«, erläuterte sie geduldig, »und dazu gehört das Wann, das Wer und das Warum.«
»Irgendwie reden wir aneinander vorbei, glaube ich«, murmelte Vera und wandte sich wieder in Richtung der Gemüsestiegen, wo sie lustlos die Kartoffeln neu aufzustapeln begann.
Sabines Verdacht hatte sich offenbar als goldrichtig erwiesen.
»Wann begann denn Ihre Liebschaft mit Herrn Reitmeyer?«
»Jahre her.«
»Und was geschah dann?«
»Irgendwann war Schluss, dann heiratete er Claudias Mutter.«
»Welche mittlerweile verstorben ist«, drängte Sabine weiter.
»Hm.«
»Haben Sie danach Ihre Beziehung zu Herrn Reitmeyer wieder aufleben lassen?«
Vera Finke nickte stumm, danach gluckste es in ihrer Kehle, und als sie sich wieder in Sabines Richtung wandte, standen Tränen in ihren Augen.
»Ich habe Ulf geliebt, verstehen Sie?
Geliebt.
Davon weiß mein Mann nichts, so, und jetzt können Sie mich an den Pranger stellen, wenn Sie möchten.«
»Darum geht es uns nicht«, sprach Sabine mit ruhiger Stimme und überlegte noch, ob sie ein Taschentuch einstecken hatte, als Angersbach sie bereits sanft antippte und ihr eine Packung entgegenhielt. Sie reichte sie weiter zu Frau Finke.
»Wir versuchen lediglich, die Puzzleteile zusammenzusetzen, auch, um Sie und Ihren Mann nötigenfalls zu entlasten.
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